Darf man in Zeiten des Terrors eigentlich noch glücklich sein?

Liebe Elli, lieber Theo,

neulich postete eine Freundin bei Facebook ein superentspanntes Sonnen-Selfie aus dem Mallorca-Urlaub. „Das Leben ist so wunderschön“ schrieb sie darunter – und kassierte statt vieler Gefällt-mir-Klicks eher nüchterne Kommentare. „Vor allem in München“, schrieb ein Kollege, und verwies damit ironisch auf den Amoklauf, der sich nur wenige Stunden vorher in der bayerischen Landeshauptstadt ereignet hatte.

Tatsächlich hätte die Freundin das Foto vielleicht nicht gepostet, hätte sie gewusst, dass dieser Jugendliche an dem Einkaufszentrum um sich geschossen, neun Menschen und anschließend sich selbst getötet hat. Doch da sie und ihr Mann in den Ferien eine Woche „Digital Detox“ machten, die ganze Woche das Handy ausgeschaltet hatten und so weder den Terroranschlag in Nizza noch den Amoklauf von München mitbekamen, haute sie diesen Glückspost eben völlig unbedarft raus, einfach so. Weil sie eben glücklich war.

Natürlich kommentierte sie das Bild dementsprechend, als sie die Nachrichtenlage überblickt hatte, fast ein bisschen entschuldigend, und natürlich gefiel das Bild dann doch noch ein paar Leuten. Dennoch fragte ich mich in den kommenden Tagen mehrfach: Darf man in Zeiten des Terrors überhaupt noch glücklich sein? Das Leben schön finden, es feiern, es lieben – ohne ein schlechtes Gewissen zu haben?

Nein, war die erste, reflexartige Antwort, die ich mir selbst gab:

Ich will nicht glücklich sein, wenn Menschen in unserem Land mit Knarren auf die Straße gehen und wild um sich schießen, als seien sie in einem Computerspiel.

Ich will nicht glücklich sein, wenn ein Typ mit einer Axt eine Bahn betritt und Passagiere attackiert.

Ich will nicht glücklich sein, wenn sich jemand bei einem Festival in die Luft sprengt.

Ich will nicht glücklich sein, wenn Mütter und Väter ihre Töchter und Söhne bei solchen Taten verlieren, oder Kinder ihre Eltern.

Ich will nicht glücklich sein, wenn wir jeden Tag damit rechnen müssen, dass so etwas WIEDER passiert.

Ich bin es trotzdem. So schrecklich dieses Jahr 2016 auch ist, bei allem Respekt vor den Opfern und mitfühlend mit allen Angehörigen – ich bin sogar ziemlich oft glücklich. Wenn ich allein die Zeit seit meinem letzten Brief an Euch Revue passieren lasse, fallen mir spontan viele Momente ein, die zu schön waren, um von grausamen Anschlägen überschattet zu werden:

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Den Kladderadatsch am Boden hätten wir uns sparen können. Für Euch DAS Highlight: die Helium-Ballons
  • Euer zweiten Geburtstag zum Beispiel. Es war Euer erster bewusster Geburtstag, und Ihr habt ihn zelebriert und ausgekostet wie zwei kleine Ferkel, die ihr erstes Schlammbad nehmen. Bis heute trällert Ihr regelmäßig „Happibörsday-Ellitheo“, so nachhaltig ist Euch die Feierei im Gedächtnis geblieben. Dabei waren in dieser vollgepackten Geburtstagswoche, in denen Ihr erst mit Euren besten Buddys in unserer Datsche feiertet, dann in der Kita, und am Wochenende noch einmal mit der gesammelten Patchwork-Sippschaft, mal wieder die einfachsten Dinge die Besonderen: nicht etwa die Laufräder, die Euer Papi und ich Euch schenkten (die liegen bis heute nahezu unberührt in der Ecke), nein: Eure Freude über die zwei mit Helium gefüllten Ballons, die Ihr immer wieder durch die Wohnung fliegen ließt. Euer Stolz auf die zwei mit Glitzerstickern beklebten Tonpapier-Kronen, die Ihr in der Kita bekamt und mit denen Ihr am liebsten noch ins Bett gegangen wärt. Oder Eure Glückseligkeit, als Euch bei der Familienparty dreieinhalb Omas und zwei Opas gleichzeitig verwöhnten.
  • Unsere Ferienwoche, in der Ihr die Kita schwänzen durftet, weil wir Besuch von Eurem Cousin, Eurer Cousine, Eurer Tante und Eurer Oma hatten. Himmel, was war das trubelig, aber auch immer wieder wunderschön anzusehen, wie Ihr vier Kids Euch jetzt miteinander beschäftigt, ohne dass wir Großen groß eingreifen müssen. Wenn mein Gefühl mich nicht täuscht, wird das jetzt immer entspannter, und eines Tages werden Eure Tante und ich da sitzen, während Ihr Mutter-Vater-Kind-Kind spielt, wir werden Latte Macchiato trinken, quasseln und vollständige Kapitel in Büchern lesen.

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    Wald- und Wiesenblumen: die kauft Euer Papa so gern, weil er dann erzählen kann, er hätte sie selbst gepflückt.
  • Der vierte Hochzeitstag von Eurem Papi und mir. Alles, was ich vor einem Jahr zum dritten schrieb, gilt auch weiterhin. An unserem Jubiläumstag nahmen wir eine kleine Wellness-Auszeit, und er schenkte mir die schönsten Blumen der Welt, dafür hat er echt ein Händchen, guckt mal ->.
  • Das letzte Wochenende im Juli, das ich mit Uralt-Lieblingsfreundin Christina für einen Städtetrip nutzte. Wir radelten durch die Natur, bummelten durch Altstadtgassen, schlenderten gedanklich durch alte und noch kommende Zeiten, bequatschten all das, zu dem wir am Telefon nie kommen, schliefen (das erste Mal seit gefühlten hundert Jahren) nebeneinander ein und wachten am nächsten Morgen, seltsam beschwippst wie zwei Verliebte, nebeneinander auf. Status Freundschaftsakku: aufgeladen, 100 Prozent.
  • Und, bevor ich es vergesse: Mein Buch ist ENDLICH im Druck. So richtig. So, dass ich jetzt wirklich nichts mehr ändern kann (und das ist GUT so, denn auch beim siebten und letzten Durchgang habe ich noch ungefähr 234435 Schönheitsfehlerchen gefunden, beim achten, neunten und zehnten Mal wären es vermutlich nicht weniger Punkte geworden). Ich hatte die Nacharbeit ziemlich unterschätzt und dachte eigentlich, dass mit der Abgabe des Manuskripts im März das meiste erledigt sei. Pustekuchen. Zum Glück sind sowohl meine Lektorin als auch die Projektleiterin bei GU echte (Gedulds-)Engel, so dass am Ende alles gut ausging. Aber ehrlicherweise machte ich trotzdem drei Kreuze, als wir den Schlussstrich zogen (Stichwort glücklich). Ich werde mich jetzt zwingen, die Druckfahne nicht mehr durchzusehen, sondern erst nach Veröffentlichung am 5. September wieder reinschauen, dann in das „echte“ Buch. Aufregend!!

Aber ich schweife ab, zurück zum Thema: Glück in Zeiten des Terrors.

Erinnert Ihr Euch an den Brief, den ich Euch im vergangenen Jahr nach den Anschlägen in Paris schrieb? Da hatte ich Schiss, wirklich Schiss. Damals haben alle gesagt: Bloß keine Angst haben, dann haben die Terroristen gewonnen. Mir war es schleierhaft, wie ich das bitte abstellen sollte.

Vielleicht habe ich ein paar Monate länger gebraucht als andere, aber mittlerweile ist meine Angst tatsächlich nahezu komplett verschwunden. Nicht nur, weil man ja inzwischen an jeder Ecke mit Zahlen beworfen wird, wie unwahrscheinlich es ist, Opfer eines Terroranschlags zu werden (die Gefahr, z.B. an einer Fischgräte zu ersticken ist deutlich höher, um nur EIN Beispiel zu nennen), sondern weil ich nach und nach merke, dass es möglich ist, diese schrecklichen Taten nicht unser Leben bestimmen zu lassen, obwohl sie so zum Kotzen (Entschuldigung, das sagt man nicht) sind und jedes Mal aufs Neue Bauchschmerzen machen, wenn man von ihnen hört, liest, spricht, schreibt.

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Spazieren mit Buggy und Roller: das macht EUCH gerade happy.

Oben erwähnte Lieblingsfreundin Christina hält mir manchmal vor, dass ich mit meinem Optimismus eine rosarote Brille aufhabe, die die Realität mitunter etwas verschleiert. In diesem Fall aber will ich das Negative nicht ausblenden oder wegschieben – das ist auch weder privat noch berufsbedingt möglich. Ich möchte nur weiter „ich“ sein! Ich möchte Euch zeigen, wie es geht, glücklich zu sein, auch wenn die Welt, in die Ihr geboren wurdet, gerade etwas Kopf steht. Ich möchte Euch so viele positive Gefühle wie möglich mit auf Euren Weg geben.

Dieser Trend, dass im Netz über alles gemeckert wird – dass es verpönt ist, sein Essen zu posten, dass man als Angeber gilt, wenn man seinen Hotel-Ausblick teilt, dass Menschen als oberflächlich und einfältig gelten, nur weil sie zum siebten Mal ein Foto ihrer Katze veröffentlichen: Das geht mir auf den Keks!

Wenn jetzt alle nur noch hoch politische Texte teilen, in ihren Blogs Depri-Stimmung verbreiten (weil die Menschen ja offenbar lieber lesen, wenn bei anderen was schief läuft, als wenn alles immer super ist), wenn sie das Schöne zurückhalten, aus Sorge, es könne irgendwem aufstoßen: Dann wird unsere Welt tatsächlich eine UNglückliche.

Ich jedenfalls bin froh, wenn ich Bilder wie das von unseren Freunden auf Mallorca sehe. Könnte man zehn Mal „Gefällt mir“ klicken, ich hätte es getan. Weil ich nicht nur will, dass WIR glücklich sind, sondern auch, dass der Rest da draußen es ist. Ich sehne mich zwischen all den schlechten Nachrichten förmlich nach Gute-Laune-Posts, mehr denn je. Wenn wir in schönen Situationen innehalten, ein Foto machen, es auf sozialen Netzwerken mit unseren Freunden und Bekannten teilen: ist das nicht vielleicht einfach ein Zeichen dafür, wie dankbar wir für das, was wir haben, sind? Die Meckerheinis können mich mal.

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So.

Gestern habe ich durch Zufall eine ziemlich passende Postkarte gesehen und sie sofort gekauft, denn dieser Spruch auf gelben Grund, der schrie mir aus der Seele: „It’s okay to be happy“.

Oh ja, das ist es: Merkt es Euch.

Eure Zwillimuddi

 

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