Wie wir Level 1000 im Pandemie-Game schafften – und den Corona-Endgegner besiegten

Liebe Elli, lieber Theo, 

es gab einen Moment in dieser Woche, da dachte ich: Wenn die vergangenen zwei Jahre ein Videospiel wären, dann wäre DAS jetzt das allerletzte Level. Nummer 1000 oder so. Der Kampf gegen den Endgegner. 

Der Moment, den ich meine, er war am Mittwoch und sah so aus: Ich saß vor dem Rechner und hatte noch exakt 38 Minuten bis zu einem einigermaßen wichtigen Meeting mit meinem Chef und etwa 25 (mir zum Großteil fremden) Menschen, denen ich zwei neue Konzepte vorstellen musste. Zur Vorbereitung kam ich aber nicht, weil pausenlos das Telefon bimmelte und ich jetzt schon vier Mal von vorne angefangen hatte.

Du, Theo, spieltest in Dauerschleife (und zugegebenermaßen schon ziemlich gut!) Jingle Bells (ja, im April) auf dem Klavier. Elli, Du saßt mit Matheheft, Bleistift, Deinem iPad und Kopfhörern neben mir und sangst 1×1-Aufgaben lösend lauthals Deinen aktuellen Lieblingssong „Cover me with sunshine“ (bzw. „kawa mi wis sansheeeeeei-haaaaa-heeeeeeeiiiiiin!“, während der Staubsaugerroboter offenbar schon wieder ein Stück Lego fraß und wie ein wütend gewordener Häcksler klang – und plötzlich piepte auch noch der Herd, weil die kurz zuvor hektisch in den Topf geworfenen Spaghetti, die ich euch noch vor dem Videocall servieren wollte, offenbar übergekocht waren.

Was möglicherweise einfach nur nach längst zur Routine zählendem HHH-Spagat (Homeoffice, Haushalt, Homeschooling) klingt, paarte sich in dieser Woche allerdings mit ein paar Omikron-Viren, einer fetten Schnupfnase und einem Brummschädel, den ich so nur nach wilden Nächten in der Berliner Clubszene kannte. 

Eure Mama im Corona-Pulli.

Und obwohl ich aus vielen Jahren Arbeit im Newsroom Konzentration bei großer Geräuschkulisse gewöhnt bin, war ich sicher, dass mein Nervenkostüm spätestens jetzt die Faxen mehr als dicke hatte – und ich noch vor Beginn dieses besagten Termins mit großer Wahrscheinlichkeit komplett durchdrehen würde. 

Tatsächlich drehte ich nicht durch. Wie ferngesteuert rannte ich in die Küche, schüttete die Nudeln ab, servierte Euch Pesto aus dem Glas dazu, wagte es so unvorbereitet wie nie in diesen 14-Uhr-Termin – und überstand ihn zu meiner großen Überraschung ohne Hustenattacke, überzeugte sogar die meisten Zuhörer in diesem Termin von dem, was ich da (ohne Präsentation) präsentierte. Noch während wir uns verabschiedeten, tauschte das bereits fest eingeplante K.O. in meinem Kopf die Buchstabenplätze und wandelte sich in ein erleichtertes O.K. – ich hatte soeben offenbar Level 1000 bewältigt.

Als ich euch abends ins Bett brachte (ja, noch immer mit Einschlafbegleitung, und ja: wir alle drei brauchen das), ließ ich den Tag Revue passieren – und die gesamte Pandemie-Zeit. Wie wir im März 2020 unseren Urlaub auf den Kanaren abbrachen, als es in den Nachrichten plötzlich kein anderes Thema mehr gab. Mein neuer Job, den ich mitten im ersten Lockdown begann. Die Hunderten Nachtschichten, um zumindest halbwegs das tagsüber nicht geschaffte Pensum aufzuholen. Eure Einschulung, mit Abstand und damals noch Stoffmasken. Diverse Homeschooling-Wochen. Unsere Impfungen, dann endlich auch Eure – und trotzdem die ständige Sorge, sich zu infizieren. 

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Gäbe es eine Skala von 1-10, die beschreibt, wie vorsichtig Menschen in Sachen Corona sind, würde ich uns je nach Jahreszeit und Inzidenz irgendwo zwischen die 7 und die 9 packen: Wir haben nicht auf alles verzichtet in den letzten Jahren, aber auf vieles. Wir haben die Kontakte je nach Lage extrem bis komplett eingeschränkt, teils wochenlang keine Freunde gesehen, Hunderte Schnelltests gemacht, unterwegs trugen wir konsequent FFP2 oder sogar FFP3-Masken. Und trotzdem ist es ein Wunder, dass wir uns vorher nicht infiziert haben. Nicht einmal, als wir kürzlich im Skiurlaub waren oder im Disneyland (hier allerdings auch die einzigen Außerirdischen mit Maske & Abstandsmotivation). Es fühlte sich fast schon seltsam an, noch nicht zum C-Club zu gehören wie all die anderen Millionen. Ein ziemlich treffender Tweet beschrieb es kürzlich so: 

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Jetzt habt ihr es ganz klassisch über die Schule mitgebracht, und mir ging es wie sehr vielen in diesen Wochen: Als der kleine zweite Strich auf dem Test auftauchte, war es fast eine Erleichterung. Der Moment, den man so lange gefürchtet hatte: SO fühlte er sich also an. Jetzt konnte man nichts mehr tun außer abwarten, wie sehr es einen umhauen würde oder auch nicht.

Und soll ich euch was sagen? Am Ende war es, mal ganz abgesehen von diesem Mittwochsmoment, tatsächlich halb so wild. Heute ist Tag 8 der Isolation, ich hoffe auf Freitestung am morgigen Sonntag und gehe mit diesen fünf Erkenntnissen aus unserer Corona-Woche:

1. Gesund werden ist wichtiger als den Helden zu spielen!

Ich kann an einer halben Hand abzählen, wie oft ich mich in 15 Jahren Berufsleben krank meldete, an das letzte Mal kann ich mich nicht mal mehr erinnern, so lange ist es her. Dieses Mal tat ich es für immerhin zwei Tage. Schlief Donnerstag und Freitag mit euch aus. Badete am helllichten Tage, kurierte mich aus – und tat meinem Körper damit einen ziemlich fetten Gefallen. So bin ich Montag vermutlich wieder topfit, anstatt den Mist zu verschleppen. Manchmal braucht man eben 39 Jahre, um die einfachsten Dinge zu schnallen.

2. Das Gute zu sehen macht nie so viel Sinn wie in einer Woche Isolation.

Nach wie vor gehört DAS zu den wichtigsten Grundsätzen, die ich euch mit auf den Weg geben möchte: das Gute zu sehen. Dass wir ein schönes zu Hause haben, dass wir immerhin raus in den Garten und auf die Dachterrasse können. Und dass diese Woche so ziemlich die beste Woche ist, in der es einen erwischen konnte: Ein Drittel der Klasse samt Klassenlehrerin fiel ebenfalls wegen Corona aus – das Wetter ist mit sehr viel Regen noch usseliger, als es selbst im Hamburger April eigentlich sein sollte. Nix verpasst da draußen. Und: wir haben unseren Urlaub und Euer nachgeholtes Weihnachtsgeschenk schon hinter uns, Ostern (mit Oma und Uroma) noch vor uns. Wenn es jetzt eh alle kriegen, dann ist das für uns jetzt gerade der optimale Zeitpunkt.

Ich bekam die echten, Ihr Blumen aus Lego von Anne.

3. Gute-Besserung-Post ist besser als Weihnachten.

Es verging kein Tag, an dem hier nicht irgendeine Überraschung eintrudelte. Blumen von der besten Freundin, Schnuckel von der Oma, Lesestoff von den Nachbarn, Witzbuch/Rätselheft/Quizblock mit Nervennahrung von der tollsten Tante, Badezusatz und weiße Schoki zum Löffeln von Marshi (der kurz vor dem zweiten Strich noch rechtzeitig von zu Hause geflüchtet war und den wir hier ganz schön doll vermissen diese Woche), Genesungskarten von lieben Kollegen. Und bitte auch hier mal wieder das Gute sehen: Wenn demnächst die Quarantäne entfällt, gibt’s auch all das nicht mehr! Haben wir nochmal schön was abgegriffen…

4. Was bleibt, sind Erinnerungen an Bügelbretthöhle und Puppenklinik.

Struwwelpeter vor Bügelbrettburg.

Euch im Dezember impfen zu lassen, war die beste Idee des Jahres 2021. Denn während andere, umgeimpfte Kids im Umfeld mit über 40 Fieber im Bett lagen, sprangt ihr hier jeden einzelnen Tag mehr als munter durch die Gegend. Und deshalb bin ich ziemlich sicher, dass Euch, wenn Ihr in Zukunft an unsere Corona-Woche zurückdenkt, vermutlich vor allem das Kamelrennenspiel, unsere Klavier-Sessions und der achte Teil der „Schule der magischen Tiere“ einfallen werden. Wie wir uns zwischendurch jeweils 15 Minuten Zeit gaben, uns ganz verrückt zu verkleiden, uns danach im Flur trafen und beim Anblick der anderen halb umfielen vor lachen. Dass Ihr in dieser Woche alle fünf Ostwind-Teile gucken durftet, wir das erste (und letzte) Mal den Lieferdienst von McDonalds bestellten und endlich eure Spielschränke sortierten. Nicht zu vergessen die außer Kraft gesetzte Nutella-Regel (gibt’s normalerweise nur am Wochenende), Eure selbst gebaute Puppenklinik, die spektakuläre Bügelbrett-Höhle auf dem Sofa. Und selbst bei mir überwiegt all das. Vielleicht bleibt die Erinnerung an den stressigen Mittwoch zur Halbzeit. Aber der war eben auch nur der Höhepunkt einer Zeit, die mich vor allem eines gelehrt hat: die Nerven zu behalten, die dank zweijährigem Training in der Corona-Zeit jetzt aus einem stahlähnlichen Material zu sein scheinen. Zumindest für die nächsten 25 Jahre im Job wird mir das vermutlich weiterhelfen.

5. Hysterie adieu.

Ich gebe zu: Manchmal mutierte ich auf der vorhin erwähnten Skala auch zur 10. Und klar: Es hätte uns härter treffen können und es ist auch nicht ausgeschlossen, dass wir es nochmal bekommen und dann schlimmer flach liegen als jetzt. Trotzdem fühlt sich diese Woche ein bisschen an wie eine Art Befreiungsschlag. Es ist vorbei: Das, was wir so lange gefürchtet haben, ist vorbei! Der Endgegner ist besiegt und ich verspreche, nur maximal halb so hysterisch auf die nicht mehr vorhandene Maskenpflicht in den Schulen zu reagieren (wie es der Fall wäre, wenn wir es jetzt noch nicht gehabt hätten). Und insgesamt deutlich entspannter zu sein, was das Thema Pandemie betrifft.

Weg von diesem verrückten Videospiel – zurück zum alten Leben. Mit Euch, den zwei besten Menschen, die mir je passiert sind.

Ich liebe Euch über alles!

Eure Zwillimuddi 

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