Fünfeinhalb Dinge, die mich gerade glücklich machen

Liebe Elli, lieber Theo,

mein letzter Brief an Euch ist schon wieder zwölf (!) Wochen alt – ich schrieb damals von der Ruhe vor dem Sturm, ohne auch nur einen blassen Schimmer davon zu haben, wie stürmisch es tatsächlich werden würde. Mitten im Corona-Lockdown einen neuen Job anzufangen, sich beim Spagat zwischen Homeoffice und Haushalt nichts anzuknacksen, und „nebenbei“ auch noch Vollzeit für Euch beide da zu sein, weil coronabedingt einfach wochenlang die Vorschule ausfiel: das war und ist – vorsichtig formuliert – eine ganz schöne Herausforderung.

Aber dieses Problem ist ja weiß Gott kein singuläres, weil neben mir Millionen andere berufstätige Eltern in diesem Land täglich versuchen, nicht durchzudrehen. Und deshalb werde ich nicht jammern, sondern Euch aufschreiben, was mich gerade glücklich macht. Wenn ich kurz überlege, ist das nämlich gar nicht so wenig. Auf fünfeinhalb kam ich gerade in 30 Sekunden, das ist nicht so schlecht, oder?

1. DER NEUE JOB! 

80 Seiten, die mich ein paar Nachtschichten kosteten. Hat sich aber gelohnt, finde ich.

Keine Ahnung, ob ich das je erwähnte, aber ich hatte (wenn man mal von all den Schüler- und Studi-Jobs absieht) bis vor ein paar Monaten tatsächlich nur einen einzigen, echten Arbeitgeber in meinem Leben. Mit und bei dem war ich immer so superzufrieden, dass mich dort keine zehn Pferde und auch keine Menschen wegkriegten, die mich in diesen gut 13 (!) Jahren zu Vorstellungsgesprächen eingeladen hatten. Aber wenn man gerade schon mal dabei ist, Komfortzonen zu verlassen, und das im Privaten einigermaßen gut über die Bühne gebracht hat, ist es deutlich leichter, diesen Schritt einfach auch auf der beruflichen Ebene zu vollziehen. Ich kündigte – und bekam diesen Job als Chefredakteurin bei einem der größten Elternmagazine Deutschlands. Das klang für mich nach einer Stelle, die ich mir malen würde, hätte ich die freie Wahl – im Grunde zu schön, um wahr zu sein. Jetzt, knapp drei Monate nach meinem Start, kann ich sagen: es ist wahr – und noch schöner, als es in der Theorie klang. Die Abende seit dem 1. April, an denen ich vor Mitternacht Feierabend machte, kann ich an einer Hand abzählen. Aber es macht riesigen Spaß. Jede Minute. Die Juli-Ausgabe ist die erste, für die ich im Alleingang die Druckfreigabe erteilte, und das war ziemlich aufregend. Eines könnt Ihr Euch schon mal merken: Wenn Ihr im Job Dinge tut, für die Ihr Euch auch privat interessiert, dann fühlt sich die Arbeit oft gar nicht nach Arbeit an. Und wenn dann noch die Kollegen so unfassbar nett sind, der Boss des Ladens Krisen als Chance betrachtet, und das Büro auch noch schön ist und perfekt liegt (in meinem Falle am Rande der Hafencity, herrlich!) – dann überlebt man auch mal ein paar Monate, in denen sonst so ziemlich alles zu kurz kommt.

 

2. DIE TANZENDEN AFFEN & DAS SCHÖNSTE KOMPLIMENT

Schöner Stress-Ausgleich: Meinen Geburtstag verbrachten wir am Meer.

Apropos zu kurz kommen. Mein Gewissen in den vergangenen drei Monaten war sehr oft sehr schlecht. Denn vor allem in den Wochen, als die Vorschule dicht war und auch jede andere Form der Betreuung für Euch wegfiel, musste ich viel zu oft nein sagen, wenn Ihr mit mir auf den Spielplatz oder noch ein Kapitel Bullerbü vorgelesen haben wolltet. Erstaunlicherweise erklärtet Ihr neulich trotzdem rückblickend beide sehr überzeugend, dieser Corona-Frühling sei schön gewesen, weil wir „so viel zu Hause kuscheln und ganz viel spielen konnten“. Theo, Du willst quasi täglich „mit mir heiraten“, und Elli, Du bedankst Dich in regelmäßigen Abständen dafür, dass ich Dich geboren habe (kein Witz). Kurzum: Wenn ich Euch so anschaue, scheinen Euch die letzten Wochen tatsächlich nicht sonderlich schlecht getan zu haben. Ihr seid ziemlich gut drauf. Ein Highlight nach dem Lockdown: Unsere Bulli-Premiere – solche kleinen Abenteuer zwischendurch liebt Ihr. Man kann inzwischen richtig gute Gespräche mit Euch führen, und zwischendurch fragt Ihr die süßesten Dinge, zum Beispiel, ob die Deutschland-Chefin (Frau Merkel) das beschlossen hat, dass ich diesen neuen Job bekam, wo denn eigentlich mein Lieblingsleberfleck ist und wann der nächste „Regionalespresso“ fährt. Ach so, und wenn launetechnisch bei einem von uns Alarm ist, haben wir einen neuen Trick, und der geht so: Einer von Euch ruft laut: „Alexa, spiel tanzender Affe!“ – keine Ahnung, wie Ihr darauf kamt, aber dann ertönt „Dance Monkey“ von Tones and I und wir zappeln zu Dritt und mit hoch gerissenen Armen so lange ab, bis auch der mieseste Miesepeter wieder lacht. Klappt. Meistens jedenfalls.

3. MARSHI.

Another Nachtschicht aufm Dach. Aber mit Marshis musikalischer Unterhaltung geht’s.

Ein ganzes Jahr ist unser Umzug nach Hamburg jetzt schon her, und sagen wir mal so: Dieser Schritt war aus heutiger Sicht einigermaßen gewagt. Ich wusste zwar, wie gut ich den neuen Mann an meiner Seite finde – aber ich wusste nicht, wie das hier zusammen unter einem Dach so werden würde (woher auch). Natürlich kennen wir uns schon eine halbe Ewigkeit, aber tatsächlich hatten wir uns nie länger als fünf Tage am Stück gesehen. Auch nicht, nachdem wir zusammengezogen waren, weil einer von uns irgendwie immer auf Jück bzw. Dienstreise oder sonst wo war. Corona änderte das, und vermutlich hätte das auch komplett in die Hose gehen können: plötzlich 24/7 zusammen – mit zwei Vollzeitjob und bis zu vier Kindern in der Hütte. Ging es nicht. Im Gegenteil. Es brachte uns noch enger zusammen, und das, obwohl mir klar wie Kloßbrühe ist, dass er es gerade nicht leicht mit (und ziemlich wenig von) mir hat. Als ich neulich das oben schon erwähnte Heft so ganz alleine die Ziellinie gen Druck trug, köpfte er eine Flasche Rotwein, als ich mal wieder den Feierabend nicht fand, schnappte sich das iPad, pflückte mir die halbe Ausgabe nochmal (mit leider klugen Einwänden) auseinander und stellte (zum Glück einigermaßen belustigt) fest: „Jetzt muss ich schon mit Dir arbeiten, um mit Dir Zeit verbringen zu können.“ Neuerdings spielt er neben mir in den gerade sehr hamburguntypisch-warmen Sommernächten Gitarre, wenn ich mal wieder auf dem Dach die Nacht durchtippe. Und wenn ich dann den Blick vom MacBook aufrichte und seine Umrisse im Kerzenschein sehe, dann weiß ich, dass der Schritt zwar gewagt, aber richtig war. Und ich trotz der kleinen Bomben, die natürlich auch zwischen uns manchmal platzen sehr, sehr, sehr, sehr froh sein kann, diesen Mann, den Ihr beide nach dem Paw-Patrol-Dalmatiner benanntet, jeden einzelnen Tag an meiner Seite zu haben.

4. DIE PATCHWORK-POWER

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Meine Gedanken zu diesem Thema gab’s neulich schon mal auf leben-und-erziehen.de

Hätte mir jemand vor 18 Monaten gesagt, dass ich eines Tages dankbar für die neue Partnerin Eures Papis bin: Ich hätte nicht nur sehr laut, sondern vermutlich auch hysterisch gelacht. Jetzt bin ich genau das (also nicht hysterisch, Ihr wisst schon). Weil mir inzwischen klar ist, dass Ihr beide SIE genauso akzeptiert und lieb gewonnen habt wie Marshi – und das entwickelte sich in den Wochen des Lockdowns zum wahren Segen. Corona hat mir klar gemacht, dass dieses Patworkfamiliendasein ein echter Vorteil sein kann. Weil die Last sich eben auf vier Schulterpaare verteilt – und Ihr dadurch deutlich mehr Abwechslung hattet als andere Kinder in dieser Phase. Neulich, als ich Euch zu Papi brachte, ging ich durch die Wohnung von ihm und der Frau, die ich vor zwei Jahren noch verfluchte – und fühlte mich wohl. Selbst leicht erschrocken über das, was ich empfand, wurde mir klar, wieso das so war: Durch die Stühle, auf denen auch ich zwölf Jahre meines Lebens gesessen hatte, die Bilder, die früher auch an meinen vier Wänden hingen, den Sessel, den ich Eurem Papi mal beim Antiquitätenhändler kaufte, hatte es ein bisschen was von zu Hause. Erstmals freute ich mich so richtig ernsthaft darüber, wie schön Ihr es auch hier habt. Dass die Zeit alle Wunden heilt, glaube ich noch immer nicht – die Narbe wird bleiben, und das ist okay. So denken zu können ist trotzdem eine echte Befreiung. Ein bisschen ausführlicher habe ich das neulich hier schon aufgeschrieben.

5. DAS RENNEN…

Pitschenass wurde ich hier. Aber da ich Regenläufe mag, bin ich in Hamburg richtig.

…rettet mich. Diese 30 oder 40 Minuten, die ich mir gerade so oft wie selten zuvor gönne, sind das beste Mittel, um mir den Kopf so richtig frei zu pusten. Am Ende dieses Monats wird meine Lauf-App mir dreimal so viele Kilometer anzeigen wie noch im Februar. Der Witz ist: Das scheint irgendwie der halben Stadt so zu gehen. Auf meiner einst mal sehr einsamen Laufstrecke begegne ich gerade etwa zehn Mal so vielen Läufern, die alle ultrasolidarisch grüßen und sich genauso über die kurze Auszeit freuen wie ich. Das Problem: Wenn der Beat meiner peinlichen Playlist mit den besten Jogging-Hits der 90er mich im Wald zum lauthalsen Mitträllern bringt, muss ich deutlich häufiger abrupt abbrechen und so tun, als sei nichts. Aber sei’s drum.

Punkt fünfeinhalb ist das Thema Gesundheit, und leider komme ich auf keine ganze Zahl, weil uns letzte Woche eine Diagnose im direkten Familienkreis den Boden unter den Füßen wegzog. Es gab schon eine OP, die gut lief und immer wieder Aussagen von Ärzten, in denen das Wort „gutartig“ nicht nur einmal fiel. Trotzdem haben wir ein paar Tage lang alle echt das schlimmste befürchtet, und diese Stunden zeigten wieder einmal, wie egal alles andere wird, wenn es mit der Gesundheit nicht rund läuft. Insofern bete ich gerade das erste Mal seit langer, langer Zeit wieder jeden Abend für einen Menschen, der verdammt nochmal ganz schnell wieder gesund werden MUSS. Und bin gleichzeitig unendlich dankbar dafür, diese tolle Familie haben, die nicht nur in Krisen wie diesen zusammenhält – und dass es uns allen (und Euch beiden!) so gut geht wie im Moment. Das ist Gold, nein: mehr wert als alles andere auf der Welt, die gerade wirklich seltsam ist.

Ich liebe Euch.

Eure Zwillimuddi

P.S.: Wenn Ihr alt genug seid, um das hier alles zu lesen, ist dieses Format vermutlich das „outeste“ der Welt, aber ich hatte gerade meine Podcast-Premiere, was ein bisschen aufregend war. Guckt doch mal, ob dieser Link dann noch funktioniert…


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