Liebe Zwillis,
es gibt so ein paar (dämliche) Klassiker-Sätze, die man eigentlich niemals zu seinen Kindern sagen wollte – aber wie so manch andere Vorsätze verschwinden diese Absichten bekanntlich im Nirwana, sobald Schwanger-Bauch weg und Baby da ist. Akut geht es um die Frage „Wo ist die/der Mama/Papa?“, die wir Euch tatsächlich gerade mindestens einmal täglich stellen. Anstatt erwartungsgemäß mit einem freudigen „da“ zu antworten, reagiert Ihr zwei allerdings oft einfach gar nicht (völlig zu recht, wie ich finde. Wie gesagt: DÄMLICH, Euch das zu fragen, während wir direkt vor Eurer Nase hocken).
Wollen wir hingegen von Dir, Elli, wissen, wo Theo ist oder fragen wir Dich, Theo, wo Elli ist, schaut Ihr Euch aufgeregt um, hebt hektisch den Arm und zeigt uns strahlend-stolz, wo genau im Raum der jeweils andere sich gerade befindet.

Ist ja auch kein Wunder: Ihr kennt Euch schließlich länger als irgendwen sonst auf dieser Welt – und seid Euch näher als alle anderen (einschließlich uns) es Euch jemals sein werden:
Vor knapp zwei Jahren gründetet Ihr sozusagen Eure erste WG. Teiltet Euch neun Monate lang die (vor allem gegen Ende ziemlich) enge Bude in meinem Bauch. Gewöhntet Euch so sehr an diese Nähe, dass Ihr nach dem Umzug ins richtige Leben gar keinen Bock hattet auf ein bisschen Freiraum: Eure Welt war nur dann in Ordnung, wenn Ihr möglichst eng beieinander lagt. Wange an Wange. Hand in Hand. Oder aber mindestens: Popo an Popo. In Eurem ganzen Leben wart Ihr noch nie länger als zwei Stunden getrennt – und das nur ein einziges Mal, als es notfallbedingt nicht anders ging (weil ich an Eurem großen Tauf-Tag mit Dir, Elli, in die Klinik fuhr, und Du, Theo, bei Eurer Oma bliebst).
Und jetzt? Nimmt Eure unfassbare Nähe gerade eine neue Dimension an, die A) diverse Fremd-Zwillingselternversprechen wahr werden lässt, mir dadurch B) neue Freiräume schafft und C) einfach wieder einmal mein Herz hüpfen lässt.
Aber kurz im Detail:
In der Theorie könnte ich solche Momente ja z.B. für sinnvolle Hausarbeiten nutzen, womit wir bei B), den neuen Freiräumen wären. Tatsächlich erholt sich unsere Wohnung gerade ein bisschen von den chronisch-chaotischen Zuständen, die hier noch vor einigen Monaten herrschten. Dennoch komme ich in der Praxis oft gar nicht dazu, nebenbei etwas anderes zu erledigen: weil ich nämlich meist hauptamtlich damit beschäftigt bin, einfach nur dahinzuschmelzen.
Und da greift C): mein hüpfendes Mamaherz. Als ich Euch am Montag bettfertig machte und Ihr Euch nackig gegenüber saßt, entdecktet Ihr Eure Bauchnabel. Ihr piekstet Euch gegenseitig die Finger in den Nabel – und bekamt Euch vor Lachen nicht mehr ein. Es war so wunderbar Euch dabei zuzusehen, dass ich wieder einmal dachte: wie großartig es ist, dass Ihr Euch habt. Wenn Ihr nur einer wärt (absurde Vorstellung): Was ginge Euch da bitte verloren?!

Ganz ehrlich: Ihr habt auf dem Spielplatz immer jemanden zum Wippen dabei. Seid im Kinderzimmer nie allein, weder tagsüber noch nachts. Und das alles ist ja erst der Anfang! Elli: Dein Bruder wird Dir auf dem Schulhof ganz sicher die fiesen Typen vom Hals halten. Theo: Deine Schwester hilft Dir dafür vielleicht mal im Kunstunterricht (oder so) aus. Und noch weiter: Wer hat in der Pubertät schon einen so engen, gleichaltrigen Verbündeten, der einem erklärt, wie das andere Geschlecht tickt?
Kurzum: Ihr seid das Beste, was Euch je passiert ist!
Meistens jedenfalls, denn natürlich streitet Ihr auch (Du, Theo, hast bei Deiner Schwester bereits so manche Biss-Spur und fiese Kratzer hinterlassen; Du, Elli, wehrst Dich seit neuestem mit einer speziellen Stakkato-Hau-Technik). Aber ist nicht auch DAS gut und wichtig? Streiten lernen mit einem Menschen, der gleich auf ist; und zeitgleich begreifen, dass man auch mal warten muss und nicht immer im Mittelpunkt stehen kann: geht doch gar nicht besser.
RESULTIERENDE ZWILLIMUDDI-THESE: ZWILLIS SIND DIE MIT ABSTAND BESTE GESCHWISTERKOMBI DER WELT!
Ist das jetzt eine überschwänglich-euphorische, verblendete und vielleicht auch wieder stillhormongeschwängerte Sicht der Dinge?

Dienstagnachmittag, Gedankenaustausch mit Christine, Mama der süßen Zwillingsmädels aus Eurer Kita. Wie es sich gehört für Klischee-Prenzlauer-Berg-Muddis, die genau das nicht sein wollen, sitzen wir im Spielcafé, schlürfen erst Latte-Macchiato, dann Bio-Limo und plaudern dabei natürlich: über Euch! Und fragen uns: hat das Zwillings-Ding tatsächlich nur Vorteile?
Quintessenz für uns Mamas: nicht unbedingt. Denn ein bisschen „Betrug“ ist es ja schon, ein 1:2-Deal sozusagen: Wir sind nur einmal schwanger, haben nur einmal Elternzeit und genießen auch die Stillmonate für zwei Kinder nur einmal. Unsere Angst, einen von Euch zu benachteiligen, ist vielleicht etwas größer als die von „normalen“ Zweifachmamas. Und die Sorgen, die kommen auch gleich doppelt, ohne sich Schritt für Schritt daran gewöhnen zu können.
Quintessenz für Euch Zwillis: auch nicht uneingeschränkt. Ihr werdet oft als Einheit gesehen, heißt ja selbst in der Anrede meiner Briefe „Zwillis“ anstatt Elli & Theo (das werde ich mit dem nächsten Brief ändern!), obwohl Ihr natürlich Individuen seid, jeder für sich mit einem eigenen Charakter, jeder für sich ein besonderer Mensch. Und unsere Liebe, fragen wir uns? Ist es gemein, dass Ihr die auch teilen müsst?
Nein: Denn die ist schließlich auch (mindestens) doppelt so groß! Und wie ich schon einmal sagte: nicht in Worte zu fassen. Deshalb beende ich diesen Brief an dieser Stelle.
Nur das noch: Ihr seid nicht nur das Beste, was EUCH je passiert ist, sondern auch das Beste, was Eurem Papi und mir je passiert ist. Was für ein Wunder, dass es Euch gibt. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute.
Ich liebe Euch!
Eure Zwillimuddi