Die 10-Punkte-Liste: Warum ich mich nicht schäme, eine Langzeitstillmama zu sein

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Links: Zwei der Fotos, die den Shitstorm auslösten. Rechts: Tamara Ecclestone stillend auf dem „Fabulous“-Cover

Liebe Zwillis,

wenn Ihr einmal alt genug seid, um Fotos von Euch selbst aufzunehmen, sind „Selfies“ vermutlich total out. Oder aber es gibt Dutzende Varianten, auf die im Moment noch kein Mensch kommt, wer weiß. Wie auch immer; eine Selfie-Form wurde in den vergangenen Wochen heiß diskutiert: die sogenannten Brelfies (‚breastfeeding plus selfie‘) – Selbstporträts von Mamas, die sich fotografieren, während sie ihre Kinder stillen.

Anlass waren ein paar sehr freizügige Instagram-Fotos von Milliardärstochter Tamara Ecclestone (31), die sie beim Stillen ihrer 17 Monate alten Tochter zeigten. Sie erntete einen riesigen Shitstorm, setzte als Antwort aber noch einen drauf und posiert jetzt auf dem Cover des britischen Magazins „Fabulous“ – stillend natürlich. Im dazugehörigen Interview sagt sie: „Stillen ist nichts, wofür man sich verstecken oder schämen sollte. Wir dürfen alle in der Öffentlichkeit essen. Warum sollten Babys das nicht tun?“

Zugegeben: klingt ein wenig platt. Ihr Baby ist eher Kleinkind als Baby, natürlich kann man die „Fütterungen“ auch etwas bedeckter vollziehen, und mal abgesehen vom Muttersein verbindet mich herzlich wenig mit dieser Frau. Dennoch fand ich ihren Grundgedanken gut und richtig: der Öffentlichkeit zu zeigen, wie schön und natürlich es ist, sein Kind zu stillen; und zwar auch dann, wenn es nicht mehr winzig klein ist.

Und damit wären wir bei Euch: Wie mein Abstill-Plan zum ersten Geburtstag baden ging, schrieb ich Euch ja bereits. Damals fand ich das nicht so lustig – inzwischen aber habe ich tatsächlich meinen Frieden damit gefunden und halte es so: Abends stillen wir weiterhin als Zu-Bett-geh-Ritual. Nachts, wenn Ihr wach werdet und möglichst schnell wieder einschlummern sollt. Tagsüber nur dann noch, wenn Ihr es aktiv einfordert. Und ja: Das findet mitunter durchaus auch mal draußen statt.

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Spielplatz-Stillen: dieses Foto entstand vor ein paar Tagen am Helmholtzplatz – während eines Playdates mit Eurem Kumpel Ferdi

Da ich das Problem „Stillen-in-der-Öffentlichkeit“ noch nie verstanden habe, ignoriere ich auch weiterhin blöde Blicke – und freue mich immer, wenn ich Gleichgesinnte treffe, wie neulich Vicky mit ihrem Sohn, der nur ein paar Wochen jünger ist als ihr. „Das ist so krank“, regte sie sich so herrlich auf, „in den ersten sechs Monaten giltst Du als schlechter Mensch, wenn Du nicht stillst. Und unmittelbar danach fragen alle ständig, ob Du schon abgestillt hast.“

Tatsächlich zählen hierzulande Mamas, die ihre Kinder nach dem neunten Monat noch mit Muttermilch versorgen, bereits als Langzeitstillende. In anderen Ländern und Kulturen ist diese Stilldauer völlig selbstverständlich – und macht bei Betrachtung der Vorteile ja schlicht Sinn. Kurzum: Je mehr ich mich mit dem Thema Abstillen auseinandersetze, desto mehr Fakten finde ich, die eindeutig dagegen sprechen.

Ein paar dieser Punkte möchte ich in diesem Brief aufschreiben. Für den Fall, dass es Euch eines Tages mal komisch vorkommen sollte, dass Ihr schon laufen konntet und trotzdem noch an meinen Brüsten nuckeltet: nehmt DAS. Meine Liste mit zehn Gründen, warum ich mich nicht schäme, eine Langzeitstillmuddi zu sein:

1. Die beste Droge der Welt im Flatrate-Paket. 

Ich sage Euch: Gäbe es Oxytocin und Prolaktin in Tüten, die ganze Welt wäre scharf drauf. Diese Hormone werden beim Stillen ausgeschüttet – und haben mich die vergangenen 14 Monate wuppen lassen. Sie sorgen für die wohligen Gefühle, die einen beim Stillen durchströmen, machen stressresistenter, lassen einen geduldiger und ausgeglichener werden und senken sogar das Schlafbedürfnis. Dieser berühmte Bindfaden, an dem die Nerven hängen: meiner wäre definitiv dünner als Zahnseide, wären da diese herrlich-natürlichen Superdrogen im kostenlosen Flatrate-Paket nicht.

2. Zweites Kolostrum im zweiten Lebensjahr

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DAS waren die ersten Tropfen Milch, die ich im Juli 2014 (übrigens unter ziemlichen Schmerzen) für Euch abpumpte – das Kolostrum

Es ist das Beste, was ein Neugeborenes bekommen kann: die ersten Tropfen Muttermilch, das so genannte Kolostrum unmittelbar nach der Geburt, sind der Vitamincocktail schlechthin – jede Mama weiß das. Was mir neu war: Die Muttermilch erreicht Experten zufolge im zweiten Lebensjahr eine ähnliche Qualität wie „damals“: Das Lysozym etwa, ein Enzym, das die Zellwand der schädlichen Bakterien zerstört, wurde in der Milch von seit 18 Monaten stillenden Müttern in höherer Konzentration nachgewiesen als in der Milch von Müttern sechs Monate alter Babys. Die Antikörper, die Ihr durchs Stillen von mir bekommt, schützen Euch zweifellos vor Krankheitserregern: wie oft Ihr bislang krank wart, kann ich an einer Hand abzählen.

3. Schutz gegen Krebs, Diabetes, MS & Co.

Aber es geht nicht nur um Husten, Schnupfen und Durchfall: Auch das Risiko, an ernsthaften Dingen zu erkranken, wird reduziert. So ist die Wahrscheinlichkeit für Allergien, Lymphknotenkrebs, Gebissanomalien, Mittelohrentzündungen, Multiple Sklerose, Magen-Darm-Erkrankungen sowie Diabetes nachweislich geringer – um nur einige zu nennen.

4. Gute Voraussetzungen für eine gesunde Mama

Nicht nur IHR profitiert gesundheitlich, auch mir kommt das Stillen zu Gute: das Risiko, an Brustkrebs, Gebärmutterkrebs und Eierstockkrebs zu erkranken, sinkt mit jedem Monat, den ich Euch stille.

5. Psyche und IQ

Kinder, die länger als ein halbes Jahr gestillt werden, haben später erwiesenermaßen seltener psychische Probleme. Und sogar klug soll’s machen: der brasilianische Forscher Bernardo Lessa Horta veröffentlichte im Frühling 2015 eine Studie, die das belegt. Er sammelte Daten von knapp 6000 Kindern, die 1982 geboren wurden, ließ sie 30 Jahre später Intelligenz-Tests machen. Ergebnis: je länger Babys gestillt wurden, desto mehr Punkte erreichten sie auf der IQ-Skala. Drei Monate volles Stillen brachte 0,7 Punkte mehr, ein ganzes Jahr sogar vier Punkte.

6. Eure schlanke Linie

Wissenschaftler sind außerdem ziemlich sicher, dass Langzeitstillende späterem Übergewicht der Kinder vorbeugen. Solltet Ihr Euch eines Tages also über einen Rettungsring oder Oberschenkeldellen ärgern: Da bin ICH dann fein raus!

7. Butterkaramell-Eis & gute Laune

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Das ist keine Werbung – sondern wahre Liebe! Ich schwöre: auf einer Skala von 1 bis 10 ist dieses Karamell-Eis eine 11

Apropos Gewicht. Es ist fast schon unheimlich und war wirklich nie zuvor so: ich kann mir JEDEN Nachmittag eine Kugel meergesalzenes Butterkaramell-Eis in meiner Lieblingseisdiele leisten, ohne dass sich das auf der Waage bemerkbar macht (stillen verbrennt bis zu 500 kcal am Tag). Findet Ihr egoistisch? Ist es nicht, weil Süßkram bekanntlich und erwiesenermaßen gute Laune macht. Also profitiert auch Ihr.

8. Meine Körbchengröße

Den Papa freut’s! Nochmal gute Laune – siehe oben.

9. Wir schonen die Umwelt

Kein Wasser aufkochen, keine Flaschen spülen, nichts sterilisieren. Euer Öko-Onkel Olaf kann stolz auf uns sein!

10. Mein Herz lacht…

…ach was: es überschlägt sich, wenn Ihr – Euch auf die anstehende Stillmahlzeit freuend – angewackelt kommt. Ich muss nur die Spaghettiträger meines Shirts über die Schultern streifen, und schwups, wisst Ihr, was Sache ist. Theo, Du prustest dann meist so etwas wie „hö-hö“, und Deine Augen, Elli, blinzeln vor Freude, während Ihr mit halb geöffneten Mündern zielorientiert die Quelle ansteuert. Ein Bild für die Götter, das ich bitte nie-nie-niemals vergessen möchte – ebenso wenig wie diese wunderschönen, kuscheligen und tatsächlich „stillen“ Momente während der Trinkeinheiten.

***

Tja, aber wie geht unsere scheinbar never-ending Still-Story weiter? Ich will und werde Euch schließlich nicht bei der Einschulung noch die Brust geben. Das natürliche Abstillalter liegt zwischen eins und vier: Mit ein bisschen Glück stillt Ihr Euch selbst ab, bevor ich im nächsten Januar wieder zu arbeiten beginne. Und wenn nicht, greift mein Lieblingsmamasatz: „Dann ist das halt so.“

Fest steht, dass ich mich nicht mit Euch zum Stillen verkriechen möchte, wie so viele Mütter im Umfeld, die aus „Scham“ nur noch zu Hause und heimlich stillen. Dann doch eher à la Frau Ecclestone: dazu stehen, Euch diese Paar Schlücke Muttermilch noch zu gönnen. Auch auf dem Spielplatz – aber weniger barbusig, versteht sich.

In diesem Sinne: bis zur nächsten Stillmahlzeit!

Eure Zwillimuddi


Ein Gedanke zu “Die 10-Punkte-Liste: Warum ich mich nicht schäme, eine Langzeitstillmama zu sein

  1. Ich hab mal eben deinen ganzen Blog gelesen und er gefällt mir sehr :) freue mich schon auf künftige Beiträge.
    Beim bedecken was das Stillen angeht bin ich allerdings nicht deiner Meinung. Ich selbst habe mit 6 Monaten abgestillt, aber ich finde es toll, wenn andere Muttis so lange stillen wie sie möchte und finde, dass sich keiner über einen nackten Busen ereifern sollte/ dürfte/ könnte.

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