Fünf Tage sturmfrei – so schön war es ohne Euren Papa

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Dunkel war’s, der Mac schien helle: In dieser Situation entstanden die Zeilen, die hier stehen

Liebe Zwillis,

es gibt eine Form der Müdigkeit, die brennt nicht nur in den Augen, sondern sie tut weh, und zwar am ganzen Körper. Es fühlt sich ein bisschen so an, als sei man sehr, sehr verkatert, ohne dass man auch nur ein Schlückchen Alkohol trank. Genau DIESE Art der Müdigkeit habe ich gerade.

Es ist Samstagnacht, 5.13 Uhr – und ich habe noch keine 20 Minuten am Stück geschlafen. Elli, irgendetwas quält Dich: seit Stunden versuche ich Dich zum Schlummern zu bringen; seit Stunden klappt das immer nur für zehn, maximal 15 Minuten. Dann bist Du wieder wach, weinst, hast dabei bereits drei Mal Deinen Bruder geweckt – und mich inzwischen an den Rand der totalen Verzweiflung getrieben.

Jetzt habe ich Dich in der Trage, im Hintergrund klimpert zum 97. Mal die Spieluhr, dank der Du eigentlich längst wissen müsstest, wie viel Sternlein am großen Himmelszelt stehen. Von der Mittelinsel unserer Küche wirft der Apfel auf der Laptopklappe einen weißen Lichtstrahl in die Dunkelheit. Du scheinst es gerade wieder ins Schlummerland geschafft zu haben – aber Ablegen ist noch keine Option. Also nutze ich die Zeit zumindest „sinnvoll“, und tippe nach jeder Runde um die Insel ein Sätzchen dieses Textes in den Computer.

Euer Papi ist weg, den fünften Tag schon; eine Dienstreise nach Frankreich. So ist das in unserem Journalisten-Job, und natürlich könnte ich jetzt meckern, wie anstrengend alles ist, so als vorübergehende Alleinerziehende. Oder Euren Papi um sein vermutlich mit weißen Kuschellaken bezogenes Hotelbett beneiden, in dem er von abends bis morgens ohne auch nur eine einzige nächtliche Ruhestörung schlafen kann. Aber wie Ihr noch merken werdet, sehe ich die Dinge lieber positiv, weil alles andere auf Dauer ungesund ist. Also versuche ich das auch im Rückblick der vergangenen „Sturmfrei“-Tage mal.

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Packesel-Mama: Elli in der Trage, Theo auf dem Arm, mein restlicher Körper mit Rucksack und Taschen behangen

TAG EINS. Am Abend, irgendwann nach acht. Wir drei waren den ganzen Tag unterwegs, zuletzt bei Freunden am anderen Ende der Stadt. Auf dem Heimweg seid Ihr im Auto eingepennt. Und zwar in den neuen Kindersitzen, die man nicht wie die Maxicosi-Vorgänger mal eben so in den Ellenbogenkehlen unterhakt. Aufgabe des Tages also: wie bekomme ich Wickeltasche, Einkäufe (blöd im Auto zu lassen, weil verderblich), Handtasche (blöd im Auto zu lassen wegen Wertsachen) UND Euch beide (am besten schlafend!) mit einem Mal in die sechste Etage? Lösung (nach kurzer Panikattacke): einen in die Trage, einen auf den Arm, im anderen Arm Wickel- und Handtasche, Einkäufe auf die zwei letztgenannten und den Rucksack, der noch im Kofferraum lag, verteilt. Läuft! Vorteil Nummer 1: Eure Mami kann bei der nächsten Packesel-WM antreten. Mit Gewinngarantie!

TAG ZWEI. 15 Uhr, erste Stunde „Musikgarten“. Kursleiterin Sandra singt, trommelt, tanzt und klatscht mit Euch Babys – und wir Mamas machen mit. Während wir mit Euch auf den Armen im Kreis galoppieren, denke ich: auweia. Wie gut, dass ich mir selbst nicht aus der Vogelperspektive zusehen kann (und auch sonst hoffentlich niemand). Einfach weiter machen, und schön lächeln… Abends aber überkommt es mich: Nach dem Zähneputzen singe ich das Lied mit den Pferden (und eigentlich hasse ich Pferde!) nochmal mit Euch. Und liebe es – denn Ihr gackert Euch kaputt. Vorteil Nummer 2: Ich kann Euch laut und schräg Lieder vorträllern und dabei rumhampeln wie verrückt, ohne dass sich einer über meine (zugegebenermaßen nicht bühnenreife) Stimme und meinen Kinderdisco-Tanz-Style lustig macht.

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Mädchenabend mit Anhang. Nicht ganz so entspannt wie früher – aber mindestens genau so lustig

TAG DREI. Wie praktisch: auch Freundin Aline ist gerade Strohwitwe. Also verabreden wir einen Mädchenabend, spinnen rum: Wir könnten ja Babysitterin Cathleen buchen, die auf Euch und Alines Sohn Leo (neun Monate älter als Ihr) aufpasst, damit wir zwei wie in alten Zeiten erst Feigennudeln beim Lieblingsitaliener essen und dann um die Häuser ziehen können, hihi. Soweit die Theorie. Praxis: Patsche-Pasta-Party für Euch drei, anschließend (gefühlte) Wohnungsrenovierung. Dann ab in die Wanne, Überschwemmung bis ins Schlafzimmer vorprogrammiert. Leo leert eine Dose mit Tampons im Badewasser, Du, Theo, freust Dich so sehr über das o.b.-Bad, dass Du fast untergehst vor Glück und dabei die halbe Wanne austrinkst, während Du, Elli, auf dem nassen Badezimmerboden über Deinen noch viel zu großen Bademantel stolperst: Nasenbluten-Premiere. Großes Aufatmen, als Ihr alle schlummert. Es reicht noch so gerade zu einem Gläschen (alkoholfreien) Sekt bei zweieinhalb Folgen „Sex and the city“, einer Gesichtsmaske und neuem Lack auf Finger- und Zehnägeln – dann fallen auch wir in die Betten. Vorteil Nummer 3: Die Mädchenabende sind – äh, naja: zumindest gesünder, als wenn die Papas Zeit zum Kinderhüten hätten.

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Neues Schuhwerk: ich konnte mal wieder nicht anders – und musste bei den Klischeefarben zuschlagen

TAG VIER. Ihr habt Euch nahezu komplett vom Krabbeln verabschiedet und wackelt beide mit immer sichereren Schritten durch die Gegend – Zeit für den ersten Schuhkauf. Bei „Lila Lämmchen“ am Helmholtzplatz habe ich in den vergangenen 14 Monaten hübsche Dinge für Euch im Wert eines Kleinwagens gekauft, beim Preis der Lederschühchen schlucke ich trotzdem nochmal: 59 Euro. Jeweils. ‚Na was soll’s‘ denkend zücke ich die EC-Karte. Vorteil Nummer 4: Wir können das Haushaltskonto plündern, ohne dass jemand die Nase rümpft und mich fragt, ob es denn jetzt ausgerechnet diese Schuhe sein müssen. Vielleicht sollte ich für MICH auch nochmal schnell schauen…?

TAG FÜNF. Der beginnt mit dieser Horror-Nacht, der vielleicht anstrengendsten überhaupt, seitdem Ihr da seid. Kurz nach dem Tippen der Einleitung dieses Briefes wurdest dann natürlich auch Du wieder wach, Theo, wecktest damit Deine Schwester wieder auf – und da weder Stillen in Frage kam (das hatte ich ja schon die ganze Nacht getan und deshalb einfach nur ein wundes Brust-Aua-Gefühl) noch Schnuller oder Flasche, die Ihr auch weiterhin hartnäckig verweigert, standen wir halt auf. Ich stellte Euch an die Spielekiste und mich in die Küche. Vorteil Nummer 5: Als Eure Patentante Laura und Freundin Chantal um 10 Uhr zum Frühstück auf der Matte standen, waren hausgemachtes Birchermüsli, Rührei mit Flusskrebsen, Regenbogen-Obstteller und mit Gemüsestreifen verzierte Wurst- und Käseplatten fertig. Der frühe Vogel…!

***

Tja, aber um ehrlich zu sein: positives Denken hin oder her. Die aufgezählten Vorteile sind allesamt Quatsch mit Soße! Natürlich war ich heilfroh, als Euer Papi am Sonntag mit gesunder Gesichtsfarbe und Koffer-Koloss die Wohnung betrat und uns drei in die Arme schloss. Wir sind wieder komplett, und das ist verdammt gut so.

Am Montag schlief ich aus. Am Dienstag kassierte ich die weltschönste Rückenmassage. In der Nacht zum Mittwoch übernahm Euer Papi das Schuckeln – und so langsam haben meine Batterien wieder Saft. Vielleicht sind solche Hardcore-Tage ein bisschen wie das, was viele Mütter über die Geburt sagen: ein paar Tage später ist (fast) alles vergessen. Ein Wunder der Natur – damit es weiter gehen kann: Heute schiebt Euer Papi ne Doppelschicht. Sturmfrei again… Aber wir machen das schon. Wir sind ja in Übung!

In Liebe – und der Hoffnung auf eine gute Nacht,

Eure Zwillimuddi

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