Liebe Elli, lieber Theo,
hatte ich im letzten Brief erwähnt, wie urlaubsreif ich bin?! Ja, hatte ich. Ich fasse trotzdem nochmal kurz zusammen: Ich war selten zuvor so müde und matschig, groggy und geschafft zugleich. Ich möchte fast behaupten, dass ich mich nie so sehr nach ein bisschen Erholung gesehnt habe wie nach der Abgabe meines Buch-Manuskripts vergangene Woche.

Zugegeben: Der Grad der Erschöpfung war wegen meines Schreibmarathons in den vergangenen Wochen einigermaßen vorhersehbar – aber genau deshalb hatte ich vorgesorgt. Schon vor Monaten hatten wir mit den Eltern Eures Kumpels Ferdi eine Woche Auszeit in diesem bezaubernden Häuschen an der türkischen Riviera gebucht. Pool mit Meerblick, Garten mit Orangen- und Zitronenbäumen, und vor allem: supernette Besitzerin mit supernetter Tochter, die jeden Vormittag für zwei Stunden zum Babysitten gebucht war, damit auch Eure Eltern mal ein bisschen runterkommen. Perfekt.
Tja, und dann passierte DAS:
Donnerstagvormittag: Ich bin in Sachen Buch in den allerletzten Zügen, will mein Manuskript in wenigen Stunden an den Verlag schicken, da ploppt eine Eilmeldung auf meinem Handy auf. Terroralarm in der Türkei: offenbar gibt es konkrete Anschlagspläne. Wir hatten schon nach den Attentaten in Istanbul und Ankara diskutiert, ob wir fliegen sollen oder nicht. Jetzt aber befinden sich offenbar die Deutschen im Visier der Terroristen, deutsche Einrichtungen vor Ort werden geschlossen. Unsere Unterkunft liegt zwar in der Pampa – doch als wir in der Reisewarnung vom Auswärtigen Amt lesen, dass auch bei Fahrten über Land Vorsicht geboten sei, sind wir verunsichert. Abends, nach gefühlten 100 Mal Hin und Her, entscheiden wir: Auch wenn uns ziemlich viel Kohle durch die Lappen geht – wir lassen es.
Freitag kommt Ferdis Mama zu uns, und während Ihr spielt, hecken wir einen neuen Plan aus: Wir würden in keinen Flieger steigen. Sondern ins Auto. Ein Roadtrip zu Siebt, vielleicht Richtung Genua? Oder Venedig? Airbnb-Recherche, Hotel-Suche, Wetter-Check zwischen Hirse-Kringeln, Apfelnüsseln, Buntstiften und Bauklotz-Chaos. Dann haben wir’s: Ein Ferienhaus am Gardasee. Buchen. Yippieh! Alles wird gut.
Tja, und dann passierte DAS:

Samstagfrüh, das Auto ist gepackt. Die Sitze im Van montiert. Alles ist fertig, da kommt die SMS von Ferdis Mama. Eine Scheiß-Nachricht (dieses Wort dürft Ihr sofort wieder aus Euren Köpfen streichen, aber es passt in diesem Fall wirklich wie die Faust auf’s Auge): Euer Kumpel brütet offenbar was aus, fünf dicke Durchfall-Windeln allein an diesem Morgen. Seine Mum will am liebsten zu Hause bleiben. Sie fürchtet Flitzekacke-Windelwechseln an Ekel-Tankstellen und gibt zu Bedenken, dass auch Ihr zwei Euch anstecken könntet. Telefonate, Diskussionen. Erneute 100 Hin und Hers später die Entscheidung: Wir fahren trotzdem (Virenaustausch mit Euch über angesabberte Hirse-Kringel vermutlich ohnehin bereits erfolgt)! Jetzt aber wirklich: Alles wird gut.
Tja, und dann passierte DAS:
Email von Giacomo. Es tue ihm schrecklich leid, schreibt der Vermieter unseres gestern gebuchten Ferienhauses am Gardasee, er habe sich mit den Daten vertan. Sein Haus sei aktuell eine einzige Baustelle, es werde nämlich gerade ein neues Klo eingebaut. So sitzen wir im Auto, haben die ersten 200 Kilometer hinter uns, dafür aber weder einen Plan, wo wir die heutige Nacht verbringen werden, noch unsere gesamte Urlaubswoche. Könnte man ganz cool finden, erinnert an die Freiheit als Studi damals. Ist mit Euch drei Kids und ohne Reisebetten an Bord aber eher: geht-so.

Offen gestanden: Ich könnte diese Liste jetzt fortführen. Mich reinsteigern in weitere Dinge, die in den folgenden Tagen nicht so liefen wie geplant. Könnte Euch ausführlich davon berichten, wie Du, Theo, dann tatsächlich ebenfalls krank wurdest, laut uns Mamas „mindestens 40“ Fieber bekamst (während die Papas Deine Temperatur entspannt als maximal „leicht erhöht“ bezeichneten). Von dem köstlichen Rotwein, den ich den Anderen überließ, um Dich nachts gesund stillen zu können. Oder davon, wie Du, Elli, wutschnaubend eine Espressotasse (mit eigens für Dich aufgeschäumter Milch) auf dem Boden der Hotelbar zerdonnertest. Oder von der Baustelle, die am Montagmorgen vor unserer spontan gebuchten Unterkunft zu wummern begann. Oder von den mehr als bescheidenen Nächten und den anstrengenden Nachmittagen, weil nicht nur der nächtliche Schlaf, sondern auch der Mittagsschlaf zu kurz kam. Von nervenzerreißenden Restaurantbesuchen, die nicht nur einmal damit endeten, dass mein Essen kalt wurde / komplett stehen blieb / vorzeitig abgeräumt wurde. Oder davon, dass ich in meinem 638 Seiten starken Krimi gerade mal die ersten 84 Seiten geschafft habe.
Das aber wäre Klagen auf ziemlich hohem Niveau. Denn erstens wissen WIR ja spätestens seit unserem letzten Sommerurlaub, dass Familienurlaub nix mit Wellnesskur zu tun hat (Euer Papa nennt es in schlechten Momenten „Minus-Erholung“). Zweitens wisst IHR, dass ich lieber die schönen Dinge sehe als die nicht so schönen. Und drittens muss man erst genannte nach diesem Horror, der am Dienstag in Brüssel passierte, wieder einmal noch mehr zu schätzen wissen. Vergesst also Fieber, Baustelle, kaltes Essen & Co. – Auf der anderen Seite nämlich waren da:
-> Die so unkomplizierte Fahrt. Eure gute Laune dabei. Wie ihr neben Ferdi in Euren Kindersitzen saßt wie drei Hühner auf der Stange. Wie Ferdis Mama und ich – Euch gegenüber sitzend – zweistimmig „Grün Grün Grün sind alle Deine Kleider trällerten“, wie wir uns bei „Aramsamsam“ zum Affen machten und Ihr drei Euch kringelig lachtet.
-> Dieser gemütliche Abend in dem Bayerischen Landgasthof, als wir alle zusammen Schweinebraten und Klöße aßen.

-> Die Minuten, in denen Ihr nach dem Essen mit Ferdi durch das Restaurant ranntet, Hand in Hand tanztet.
-> Das Hotel mit dieser spektakulären Aussicht auf den Gardasee, in dem wir ab Sonntag trotz Osterferien noch zwei Zimmer mit insgesamt drei Babybetten zu einem einigermaßen akzeptablen Preis bekamen.
-> Mein Abendlauf im Licht der untergehenden Sonne, die der wunderschönen Landschaft einen märchenhaft goldenen Schimmer verlieh. Der Duft der Olivenbäume, neben denen ich joggte.
-> Der Anblick der riesigen Zypressen, die sich langsam im Wind wiegten, als tanzten sie einen Schmuseblues, daneben die flatternden Blätter der Palmen, als würden sie ihre großen Freunde anfeuern.
-> Die zwitschernden Vögel und die Frühlingssonne, die sich im Windschatten wie Sommer anfühlte.
-> Euer erstes echtes, eigenes Gelati (die folgende Schweinerei ausgenommen).

-> Dieser Nachmittag am See, als Ihr drei an der Promenade von Garda Enten füttertet, grundzufrieden durch die Gegend ranntet und so etwas Ähnliches wie Fangen spieltet.
-> Dass ich immerhin diese 84 Seiten zu lesen schaffte. Es war wie ein fettes Stück Torte nach einer wochenlangen Diät. Was habe ich das Lesen vermisst!
-> Die vielen Lach-Attacken und Insider mit der Ferdi-Family. Die Freundschaft, die immer vertrauter und intensiver wird.
Am Ende also unterm Strich: Ein Urlaub mit Umwegen, aber mit Happy End. Sogar einem doppelten, sozusagen: Gestern brachten wir Ferdi und seine Eltern zum Flughafen Mailand (sie düsten weiter zum Osterfamilienfest), und fuhren weiter zum Lago Maggiore – in unseren Lieblingsort, in dem Euer Papa und ich vor ein paar Jahren heirateten. Hier treffen wir heute großartigerweise Euren Cousin, Eure Cousine und Eure Tante, die gerade ebenfalls am Lago urlauben.
Und erholen? Das mache ich dann nächste Woche. Da kommt Eure Oma, und ich werde drei Tage am Stück durchschlafen. Mindestens.
Immer noch urlaubsreife Grüße von Eurer
Zwillimuddi
Schlaf gut liebe Claudi 😉
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Oh, das werde ich! Aber für unser Tel-Date unterbreche ich mein XXL-Nickerchen morgen… ;-)
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