
Liebe Zwillis,
es ist Anfang August, fünf Bundesländer sind gerade erst in die Sommerferien gestartet, unser Urlaub ist, schwuppdiwupp: schon vorbei – und mein Bedarf an Erholung, vorsichtig formuliert: noch nicht so richtig gedeckt.
Auf der Rückfahrt, es muss im etwa siebenundachtzigstem Stau irgendwo auf der A5 gewesen sein, schauten Euer Papa und ich uns tief in die Augen (das war möglich, weil’s mal wieder weder vor noch zurück ging), und diagnostizierten gegenseitige Urlaubsreife. Und das nach zwei Wochen Italien – na toll.
Versteht mich nicht falsch. Diese Reise war aufregend: Euer erstes Mal am Lago Maggiore, diesem besonderen Ort. Hier machten schon Eure Urgroßeltern Urlaub, vererbten die Lago-Liebe an Eure Großeltern, die mich zum ersten Mal herbrachten, als ich noch viel kleiner war als Ihr es jetzt seid. Mit zwölf beschloss ich, hier eines Tages zu heiraten. Euer Papa erfüllte mir viele Jahre später nicht nur diesen Traum, sondern setzt auch die Familientradition mit mir fort, mindestens einmal im Jahr herzukommen. Dass wir Euch jetzt erstmals zusammen dieses schöne Fleckchen Erde zeigen konnten, ist großartig und hat für viele Déjà-vus und Gänsehautmomente gesorgt.
Aber gerade weil ich dort schon so viel erlebt habe, bleiben Vergleiche nicht aus. Vergleiche mit den Urlauben meiner eigenen Kindheit, vor allem aber mit denen der vergangenen Jahren. Vergleiche mit der Zeit, bevor es Euch gab – Vergleiche mit den Urlauben als Nicht-Mama.
Ich nenne Euch nur drei dieser Gegenüberstellungen, von denen ich so viele weitere aufschreiben könnte, dass ich damit Euer Zimmer tapezieren könnte:

Als Ihr noch nicht bei uns wart, da war die Fahrt so: die 1000 Kilometer von Berlin zum Lago durchbrettern, zwei Pinkelpausen maximal, vielleicht wieder eine neue Rekordreisezeit aufstellen, Hauptsache schnell ans Ziel, damit der Urlaub anfangen kann. Hinten drin nur der große Koffer und die braune Ledertasche mit Schuhen und Büchern, vielen Büchern. In der Mittelkonsole Kaffee, das Schiebedach offen, die Musik laut, die Laune blendend.
Heute ist das so: drei Tage für die Fahrt brauchen, zwei Übernachtungsstopps in Pensionen, die keine Babybetten haben, also zu viert auf 1,60 Meter schlafen, aua, der Rücken. Das Auto ist voll, als würden wir acht statt zwei Wochen verreisen. Peppa Wutz läuft in Dauerschleife, und wenn das iPad leer ist, singen Euer Papa und ich „Drei Chinesen mit dem Kontrabass“ in Musical-, Kirchen-, Opern- und Rapversion. Ist die Klimaanlage an, sorge ich mich, dass Ihr zu kalt seid, ist das Fenster auf, habe ich Angst, dass es Euch zieht. Stau findet Ihr schlimmer als Hunger, volle Windeln und sehr müde sein zusammen. Und dann helfen nur noch Hirsekringel, viel mehr als die tägliche Drei-Stück-Ration, um die Zeit bis zum nächsten Rastplatz zu überbrücken – Pause. Wieder mal.

Als Ihr noch nicht bei uns wart, waren die Tage so: Ausschlafen, joggen, Frühstück, zurück ins Bett. Später, gegen Mittag meist, Terrasse, Sonnenliege, Buch. Vielleicht mal an den See fahren, oder auch nicht. Ist gerade so schön hier, auf der Liege. Noch ein paar Seiten lesen in Schmöker Nummer 3, oder einfach nochmal kurz die Augen zu. Gedanken schweifen lassen. Was war denn bisher so los, im ersten Halbjahr vor den Ferien? Was folgt danach? Jetzt erstmal genießen, hach. Und wieder die Augen zu, bis zum Sundowner, so gegen fünf.
Heute ist das so: Wach sein um sechs, wenn der erste von Euch beschließt, dass die Nacht zu Ende ist. Knobeln mit Eurem Papa, wer aufsteht, und wer mit dem anderen von Euch liegen bleiben darf – bis immerhin sieben (maximal). Frühstück für Euch schnibbeln, um 90 Prozent kurz darauf vom Boden abzukratzen. Bauklötze stapeln, damit Ihr sie umwerfen könnt, das Buch mit dem tutenden Auto vorlesen, noch einen Turm bauen, oder mal das Planschbecken füllen? Brei kochen, und nach dem Mittagessen schnell los, damit Ihr auf dem Weg zum See schlaft, auf der Rückfahrt aber nicht, weil Ihr dann abends zu fit seid. Sundowner? Nach neun – wenn’s gut läuft.

Als Ihr noch nicht bei uns wart, da waren die Nächte so: feucht-fröhlich, so viel steht mal fest. Ich will nicht indiskret sein, aber bei unseren Partys hier gingen Toilettentüren zu Bruch und wir betrunken baden. Und auch wenn’s mal nur eine kleine Runde war, floss zumindest unser Lieblings-Rosé in Strömen. Begonnen haben diese Nächte im Übrigen meist mit einer Pizza am See, einem Essen an der Uferpromenade, einem Menu in der Trattoria – spontan. Da, wo wir halt gerade so waren.
Heute ist das so: Einen Tisch für 19 Uhr reservieren, nicht im schönsten Restaurant, sondern in dem, das genug Babyhochstühle hat. Euer Kumpel Ferdi sitzt links am Tisch, Ihr rechts, wir und Ferdis Eltern dazwischen – und dann geht es los, das Chaos. Theo, Du wirfst Deine Flasche runter und ein Glas Wasser um. Elli, Du möchtest lieber Brot als Brei und schmierst diesen auf die weiße Tischdecke. Ferdi will seinen Schnuller, der im Flieger vergessen wurde. Ihr drei übertönt längst die Eros-Ramazotti-Songs aus den Boxen, auf dem Tisch sieht’s schlimmer aus als bei Hempels unterm Sofa, die Plätze um uns herum sind plötzlich leer, die Kellner genervt. Und unser Essen ist noch immer nicht da.
Schon gut, es ist keine bahnbrechende Erkenntnis, dass Urlaub mit Kindern anders ist als Urlaub ohne Kinder. Aber wisst Ihr: Seitdem Ihr auf der Welt seid, sind wir immer wieder mit Euch verreist, Ihr wart bereits an Nord- und Ostsee, auf Mallorca und in Südafrika, und vor allem letzteres war ziemlich entspannt. Aber vielleicht war es das deshalb, weil Ihr gerade mal ein halbes Jahr alt wart, noch viel geschlafen habt, Euch nicht fortbewegen konntet, Euer eigener Wille sich lediglich ums Essen und Schlafen drehte und Euer Papa und ich weitestgehend unser Ding machen konnten.
Nach den vergangenen zwei Wochen schwant mir, dass es diese Art von Urlauben vorerst nicht mehr geben wird: Je älter Ihr werdet, desto mehr werdet Ihr die Hauptrolle spielen. Ihr werdet entscheiden, wie unsere Tage ablaufen, welche Ausflüge wir machen, wo wir Urlaub machen, wie wir Urlaub machen. Sicher wird es leichter, wenn Ihr richtig laufen, Dinge verstehen, schwimmen und vieles mehr könnt. Aber unanstrengender?
Gerade kommt Euer Papa zu mir auf den Balkon, wo ich mit meinem Laptop sitze. Er weiß, worüber ich diesen vierten Brief an Euch schreibe und fragt mich, wo eigentlich das Wort Urlaub herkommt. Kurze Google-Recherche: Das althochdeutsche Wort „Urloub“ ist seit dem achten Jahrhundert in Gebrauch und bedeutete schlicht „Erlaubnis“; die Genehmigung, sich entfernen zu dürfen. Etwa, wenn ein Ritter seinen Herrn verlassen wollte, später wurde es in Dienst- und Arbeitsverhältnissen angewandt.
Diese Erkenntnis finde ich irgendwie beruhigend: Wenn Urlaub die Erlaubnis bedeutet, sich entfernen zu dürfen – dann ist ja klar, dass ich reif für die Insel bin! Denn selbstverständlich will ich mich NICHT von Euch (meiner derzeitigen „Arbeit“) entfernen, und selbst wenn ich es wollte, wäret Ihr mir ein sehr strenger Chef, der mir diese Genehmigung verweigern würde. Weil Ihr mich braucht – in Italien ebenso wie überall anders auf der Welt.
Und soll ich Euch was sagen? Das ist auch gut so! Ja, es war anstrengend. Aber auch immer wieder wunderschön. Ich möchte um nichts in der Welt mit den Zeiten ohne Euch tauschen. Und die Entspannung hole ich mir diese Woche zurück: Wir sind zu Besuch bei Eurem Opa. Am Sonntag war er mit Euch spazieren, und Euer Papa und ich durften in meinem alten Kinderzimmer schlafen, einfach nur schlafen. Diese zwei Stunden waren die entspanntesten der vergangenen zwei Wochen. La dolce vita, und das mitten im Ruhrpott: so leicht kann das sein.
Bis nächste Woche!
Eure Zwillimuddi
Liebe Zwillimuddi! Das hast du echt schön geschrieben! Ich glaub, jede Mama kann das nachvollziehen (und ich hab nur 1 Kind 😊). Grüße aus dem 5. Urlaub, der jetzt, wo er 3 ist, so entspannt ist wie keiner zuvor. Es wird ja mit jedem Mal besser, das wird bei Zwillingen nicht anders sein 😉
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Das klingt sehr gut :-) Danke für diese Zeilen!
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Liebe Zwillimuddi, herrlich! Ich habe herzlich lachen müssen. Ja, genau so ist. Wir starten heute in unseren Italien Urlaub…mit unserem Sohn, der inzwischen vier ist. Seit er drei ist, ist es entspannter und er spielt stundenlang am Wasser. :-)
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Ich bin gespannt auf diese Zeit, wenn sie so alt sind… Ganz viel Spaß im Urlaub – und gute Reise!
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Daaaaanke!!!!! Unsere 2 …Emil und Matteo hatten ihren 1. Geburt am 2.8….von daher kann ich vieles so nachfühlen☺
Italien bzw der Comer See war bis dato unser zweites zuhause inkl. all dem Beschriebenem….Auch wir waren schon viel mit beiden unterwegs inkl. 3 Monate Auszeit, aber da wir Autofahrerhasser haben noch nicht gen Italien. Nachdem wir nun aber bei Prosecco und Lieferpizza deine Zeilen gelesenen haben, wagen wir uns nun doch und kehren bald an altbekannte Plätze zurück ☺ – naja die Bars ausgenommen. Toller Bericht…wir üben schon mal „Drei Chinesen…“ …Ciao aus München von uns!
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