
Liebe Elli, lieber Theo,
neulich, kurz bevor der Adventsrummel begann, waren wir auf einer Hochzeit an der Nordsee, und da mein liebster Lieblingspatenonkel sozusagen einer der Hauptakteure war, handelte es sich schönerweise nicht nur um eine tolle Party, sondern zeitgleich auch um eine Versammlung eines großen Sippschaft-Teils. Ebenfalls dabei: Eure 88-jährige Uroma, die leider viel zu weit weg wohnt, um sie auch nur im Ansatz angemessen oft zu besuchen – in die Ihr aber dennoch total verschossen seid.
Vielleicht habt Ihr diesen so engen Draht zu ihr, weil sie ebenfalls ein Zwilling ist. Vielleicht spürt Ihr, dass wir ihr durch die Weitergabe ihres Zwillingsgens möglicherweise Eure tolle Geschwisterkonstellation zu verdanken haben – vielleicht haben Kinder auch generell einfach einen siebten Sinn für besondere Menschen.
Es war kurz nach Mitternacht, und Eure Uroma hatte das ein oder andere Glas Wein getrunken. Das kann man mit ihr sehr gut tun – eine ihrer goldenen Regeln ist, nie auch nur einen Schluck Alkohol anzurühren, wenn sie alleine zu Hause ist, und demnach freut sie sich immer umso mehr, in Gesellschaft ein gutes Tröpfchen verköstigen zu können. Ich für meinen Teil hatte mich nach dem Essen mit der „Pimp-your-Prosecco-Bar“ angefreundet und war ebenfalls bester Laune. Euer Papi jagte vom DJ-Pult einen Knaller nach dem anderen in die dicken Boxen, die Tanzfläche ließ sich kontinuierlich von mindestens 20 Schuhsohlen massieren.
Dann kam „Atemlos“. Meine Pupillen machten sich gerade startklar für ein plakativ-genervtes Augenrollen, die (kleine) Zicke in mir setzte bereits einen mahnenden „ist-das-Dein-Ernst-Blick“ in die Richtung Eures Dads auf, als sich plötzlich – mit Hilfe eines Gehstocks – zwei weitere Sohlen zu den anderen wild um sich zappelnden Kollegen gesellten: Eure Urgroßmutter hatte beschlossen, das Tischgespräch mit dem eher tanzunfreudigen Teil der Familie zu beenden – und sich stattdessen lieber dem Partyvolk anzuschließen.

Sie nahm meine Cousine an die eine Hand, mich an die andere, und dancte los. Riss zwischendurch den Arm hoch, lachte dabei ihr typisch-fröhliches Lachen mit Ansteckgarantie. Und blieb, auch als Helene Fischer ihre musikalische Reise durch die Nacht beendet hatte. Eure Urgroßmutter tanzte zu „Life is Life“ und bei Ace of Base, wenn ich mich recht entsinne, shakte sie selbst bei Jan Delays „Oh Jonny“ weiter die Hüften.
Irgendwann gönnte sie sich ein kleines Trink- und Quasselpäuschen mit Eurer Oma/ihrer Tochter, setzte sich kurz am Rand auf eine Bank – um dann ein tänzerisches Comeback hinzulegen.
Während Freunde und Bekannte des Brautpaares sich nach und nach verabschiedeten, tanzte Eure Uroma ganz und gar nicht atemlos durch die Nacht, bis – ich glaube – halb drei. Kurz bevor sie (als einer der allerletzten Gäste) die Fete verließ, spielte Euer Papi Vicky Leandros Gassenhauer „Ich liebe das Leben“. Das war schon immer sein letzter Song, wenn er seinem DJ-Hobby nachgeht, und wir hingen (vor allem vor Eurer Zeit) weit mehr als einmal alk- und gefühlsbeduselt in irgendwelchen Bars und krächzten den Refrain Arm in Arm mit Freunden oder Fremden trotz seiner Schlichtheit pathetisch-sentimental mit. Doch emotional betrachtet war all das in der Vergangenheit Kinderkram, im Vergleich zu diesem Moment: Wie Eure Uromi, die es ja u.a. geschichtsbedingt nicht immer leicht hatte, da stand und mit 88 Jahren singend erklärte, dass sie das Leben liebt – dieser Anblick rührte mich zu Tränen, die mir plötzlich ungefragt über die Wange kullerten. Ich ging zu ihr, nahm sie in den Arm, drückte sie ziemlich fest und hätte sie am liebsten gar nicht mehr losgelassen.

Am nächsten Tag saß sie übrigens um acht Uhr wie aus dem Ei gepellt und mit kleinerem Kater als der versammelte Rest am Frühstückstisch, und beeindruckte mich das ca. 1000 Mal seitdem ich sie kenne (früher tat sie das zum Beispiel, in dem sie Tischtennis mit uns spielte. Oder rudern ging, mehrfach pro Woche. Oder das beste Hühnerfrikassee der Welt kochte. Oder, oder, oder). Was für eine Frau!
Dass IHR mit 88 exakt so drauf seid wie Eure Uroma es heue ist (und hoffentlich noch lange sein wird), auf ein ebenso erfülltes Leben blicken dürft, und mit Euren Kindern und Enkelkindern bei Zukunftsmusik den Dancefloor rockt.
Ich werde dann mit Eurer Urgroßmutter, Euren anderen tollen Omas und Opas (mit denen Ihr ja bekanntermaßen ebenfalls ziemlich großes Glück habt) und vielen anderen Sippschaftsmitgliedern auf einer Wolke sitzen (Helene Fischer vielleicht nebenan?), Euch zuschauen, und mit Euren Vorfahren ein Glas Rotwein auf Euch und die alten Zeiten trinken.
Ich liebe Euch!
Eure Zwillimuddi
Ach liebe Claudia, das hast du so schön geschrieben! Ich musste mir jetzt erst nochmal auf Youtube Vicky Leandros anhören und habe auch ein kleines Tränchen verdrückt. Ich hatte auch so eine tolle Oma, die auf unserer Hochzeit mitgefeiert hat, die dann einen Tag vor ihrem 90. Geburtstag verstorben ist. Auch sie war so eine gutgelaunte Ausnahmeerscheinung, die trotz all der harten Zeiten ihr Leben bis zum Schluss liebte.
Sehr schön geschrieben <3
LG und nutze die Zeit, die ihr mit ihr habt, Elli
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Vielen Dank, liebe Elli (lustig)! Ja, die Zeit MUSS man nutzen, mit ihr ist es einfach IMMER schön :-) Viele liebe Grüße! Claudia
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