Liebe Elli, lieber Theo,
Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich Euch davon berichte, groggy zu sein. Aber dieses Mal bin ich offenbar wirklich durch. Denn neulich ist mir etwas passiert, das eindeutig die Auszeichnung zur „Panne des Jahres“ erhält.
Es war ein Montag, und ich weiß noch, dass ich wegen irgendetwas Stress in der Redaktion hatte. Mittagessen fiel mal wieder aus, ich hechtete sozusagen vom Schreibtisch ohne Umwege in die Kita-Garderobe, um Euch zumindest einigermaßen pünktlich abzuholen.
Zu Hause angekommen fühlte ich mich irgendwie seltsam. So ähnlich, wie wenn man irgendwo etwas hat liegen lassen, aber noch nicht weiß, was man da verdaddelt hat. Doch bevor ich dazu kam, dieses unbestimmte Gefühl näher zu hinterfragen, klingelte es an der Tür. Die Zwilli-Mädels aus Eurer Kita standen da mit ihrer Mama, die drei waren vier Wochen im Urlaub gewesen, hatten viel zu erzählen und sogar noch ein nachträgliches Geburtstagsgeschenk für Euch im Gepäck. Ihr freutet Euch, ich freute mich, die Zwillings-Mädels samt Mama freuten sich – und so zogen wir spontan los, um ein Eis in unserer Lieblingseisdiele zu essen. Wieso auch nicht, dachte ich noch – ist ja sonst nix heute.
Tja, von wegen.
Gegen 17 Uhr machten wir uns auf den Heimweg, und während Ihr vier Kids noch ein bisschen im Hof fangen spieltet, kam eine SMS von der Mama Eures besten Kumpels Ferdi.

Alles okay bei Euch?, schrieb sie – und schickte dazu einen dieser Smileys, der peinlich berührt die Zähne fletscht. Ich kann Euch kaum sagen, was in diesem Moment in meinem Kopf vorging. Ich brauchte nicht den Bruchteil einer Sekunde, um die Dramatik der Lage zu kapieren, und trotzdem schienen mir die Schuppen wie in Zeitlupe von den Augen zu fallen: Ich hatte Ferdis Geburtstag vergessen. Und zwar nicht nur den Geburtstag an sich, so dass man einfach mal schnell hätte anrufen und gratulieren können – sondern seine Party: den Kindergeburtstag, zu dem nicht nur Ihr als Gäste an seiner Kuchentafel eingeplant wart, sondern auch ich in Sachen Buffet- und Dekogestaltung. Ferdifuchsmäßig garnierte Cup Cakes hatte ich in Absprache mit Ferdis Mama backen wollen, außerdem hatte ich versprochen, mich um den großen Luftballon, diese mit Helium gefüllte „Zwei“ zu kümmern, und dann war da noch die Sache mit der Girlande…
Jetzt stand ich fix & foxi, völlig verschwitzt & komplett entsetzt von meiner offensichtlichen Vergesslichkeit im Hof, und hatte nichts von all dem, zumal der Kindergeburtstag seit zwei Stunden im Gang und vermutlich in nicht allzu ferner Zeit beendet sein würde.
Nach den ersten Schock-Sekunden und zehn bis zwölf ungefragt aus meinen Augen schießenden Wut-auf-mich-selbst-Tränen schaltete mein Hirn auf Improvisationsmodus. Ich bat die Mama Eurer Zwillingsfreunde, ein paar Minuten auf Euch Acht zu geben. Raste nach oben, rief die Babysitterin an, sie müsse bitte SOFORT kommen, klaubte ein Geburtstagsnotfallset zusammen, schnappte mir die große ZWEI, in der natürlich noch KEIN Helium war, und rannte wieder nach unten. Zumindest den Ballon musste ich noch irgendwie aufpusten, wenn ich schon ohne Cupcakes, Girlande und Geschenk anrücken würde.
Ich setzte Euch (voller Eisflecken, total zerzaust, groggy vom Tag) und die Babysitterin ins/aufs Lastenrad, mich (nicht weniger eisbefleckt/zerzaust/groggy) auf meinen eigenen Drahtesel, wir radelten mit der schlaffen Zwei los, noch schnell vorbei am Ballonladen („wegen Betriebsferien geschlossen“), zum Bastelladen („so viel Helium können wir nicht herausgeben“), am Ende zum Spielzeughändlers meines Vertrauens, wo ich den Ballon wie eine Irre und innerhalb sich wie Stunden anfühlenden Minuten mit einer Luftpumpe füllte (besser als nichts).
Jetzt war ich wenigstens endgültig schweißgebadet, und Eure Laune wurde verständlicherweise auch nicht gerade besser: Es gibt durchaus bessere Ausgangssituationen, um einen Ausflug zu starten als um viertel vor sechs, so kurz vorm Abendbrot, mit zwei Kids, die letztgenanntes schon seit einer halben Stunde herbeisehnen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Als wir um kurz nach sechs ankamen, verabschiedeten sich die meisten Gäste gerade, und mir blieb nur, Ferdis Mama in Tränen ausbrechend und 1000 Mal Entschuldigung stammelnd in die Arme zu fallen.

Ihr machtet Euch über die Kuchenreste her, Ferdi freute sich über Euren Papa, der mit einem – nach einem SOS-Notruf meinerseits – spontan erstandenen XXL-Bagger herbeigehetzt kam, Lotte streichelte mir herzallerliebst Schulter und Gewissen, und beteuerte, dass sie mir verzeihe. Und trotzdem finde ich die Vorstellung noch immer schrecklich, dass mein Hirn tatsächlich diesen Voll-Aussetzer hatte, an den ich selbst dann noch denken werde, sollte Ferdi mich eines Tages mit Euch im Altenheim besuchen kommen.
Wisst Ihr, was das Blöde ist?
Es gibt noch mehr solcher Situationen, in denen ich mich frage, wieso mein Kopf neuerdings deutlich öfter als früher ungefragt und ohne Urlaubsantrag Ferien macht:
- Ich verliere Dinge. Meine Lieblingsmütze zum Beispiel. Gleich zwei Sonnenbrillen, eine davon niegelnagelneu und ein Geschenk Eures Vaters (das macht es noch schrecklicher), meinen Schlüsselbund, der seit ein paar Monaten und nach wie vor wie vom Erdboden verschluckt ist.
- Ich verwechsele Menschen. Peinlichster Moment auf meiner Buch-Party neulich: Ich sprach mit einer lieben Bekannten über eine andere Bekannte, die sich gerade ein Haus kaufte. Sie: „Woher haben die so viel Geld?“ Ich: „Na, die ist doch mit diesem von- und zu verheiratet“, ich nannte seinen Nachnamen. Sie: „Nein, das war ICH…“ Oh GOTT, Räusper, – Recht hat sie: Kann sich bitte ein Loch im Boden auftun, sofort?!
- Ich vergesse Termine. Und zwar neben Ferdis Geburtstag auch Lunch-Dates mit Kollegen. Und neulich, eine Verabredung mit einer lieben Kollegin, die seit ziemlich genau einem Jahr ebenfalls Zwillimuddi ist (sie hatte sogar Apfelkuchen gebacken, und ich weiß wahrlich, was das mit zwei Kindern in diesem Alter bedeutet – umso riesiger waren meine Schuldgefühle). Oder Euer Kita-Sportfest, an das mich Eure Erzieherin am gleichen Tag im allerletzten Moment erinnerte. Und vieles, vieles mehr – obwohl ich eigentlich ein ziemlich durchorganisierter Mensch bin – oder es mal war…
Ich könnte jetzt schwadronieren, was genau der Hintergrund für diese leider nicht mehr ganz so harmlose Muddi-Schusseligkeit ist; ich könnte mich flüchten in Ausreden, behaupten, mein Kopf sei einfach zu voll gewesen in diesen letzten Wochen vor dem Buch-Erscheinen, oder mögliche Belege dafür auflisten, dass es die Stilldemenz (ja-ja, wir haben den Absprung noch immer nicht ganz geschafft…) wirklich gibt, oder versuchen, ein bisschen Mitleid zu erhaschen, weil meine To-Do-Listen inzwischen ein ganzes Notizbüchlein füllen und einfach niemals kürzer werden.
Aber das lasse ich mal, denn ich möchte mich lieber nicht zu sehr hineinsteigern in dieses Thema, und hoffe inständig, dass es sich hier um eine Momentaufnahme handelt, und nicht um einen Dauerzustand.

Jetzt werde ich zumindest eine Menge dafür tun, dass der Schädel mal wieder etwas zur Ruhe kommt, und vielleicht wieder Platz schafft für die wichtigen Dinge: Wir machen nochmal Urlaub. Euer Papi und ich haben gespart und gönnen uns den großen Luxus, eine Eurer Lieblingsbabysitterinnen dabei zu haben. Morgens werden Euer Dad und ich urlauben wie „damals“: lesen, rumliegen, schlafen, weiterlesen. Nachmittags ist Familytime angesagt, und auf beides freue ich mich riesig.
Helft Ihr mir beim Koffer packen? Nicht, dass ich das ebenfalls vergesse.
Danke und viele liebe Grüße von Eurer Euch liebenden
Zwillimuddi
Oh nein – manchmal ist einfach der Wurm drin. Ich kaempfe auch immer mit den ganzen Termin. Ich programmiere nun mein Telefon mit Erinnerungen… Damit ist es etwas besser geworden. Jetzt aber erstmal einen tollen Urlaub – was fuer eine gute Idee, den Babysitter mitzunehmen!
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