
Liebe Elli, lieber Theo,
eine meiner ersten Reportagen nach dem Job-Wiedereinstieg führte mich zu Sylvia – einer Frau aus Baden-Württemberg, die DREI Mal Zwillinge bekam. Es war ein schöner Termin, denn schon im Vorfeld des Interviews war da dieses unsichtbare Band, das Zwillingsmütter verbindet. Wir schrieben und schreiben bis heute Whatsapp-Nachrichten, ein bisschen so als wären wir zwei alte Freundinnen.
Sylvia antwortet in der Regel nach wenigen Sekunden – obwohl man einer Sechsfachmama eine gewisse Verzögerung nun wirklich schnell verzeihen würde. Irgendwie beschreibt dieses Detail die ganze Frau überhaupt sehr gut: Sie scheint strukturiert und effizient in allem zu sein, was sie tut. Für das, was sie allein während unseres Gesprächs so nebenbei erledigte, bräuchte man eigentlich Krakenarme. Sie aber hat ihre sechs Kids irgendwie auch mit bloß zwei Händen im Griff. Und wirkt dabei nicht einmal angestrengt, sondern entspannter als so manche Einzelkind-Mutter.
Als ich sie fragte, wie sie das hinkriegt, lächelte sie nur – und sagte etwas, das mich in den folgenden Tagen zum Nachdenken brachte:
„Ich glaube ja, dass man nur die Aufgaben gestellt bekommt, denen man auch gewachsen ist“, erklärte sie. „Das soll jetzt nicht eingebildet klingen, aber irgendwie kriegen doch nur taffe Frauen Zwillinge, also die, die es hinbekommen.“
Tja, ist das so? Sind Zwillings- und Mehrlingsmütter automatisch Powerfrauen? In der Tierwelt bekommen tatsächlich nachweislich nur die besonders gesunden Weibchen, die biologisch-genetisch betrachtet die Kraft dazu haben, Mehrlinge.
Aber auch in der Menschenwelt habe ich vor allem in den vergangenen zwei Jahren ziemlich viele andere Zwillingsmamas kennengelernt, auf die der Begriff „Powerfrau“ zutrifft:

Da wäre Barbette, unsere liebe Bekannte aus New York. Sie wuppt nicht nur den Alltag mit ihren inzwischen achtjährigen Zwillis, sondern ganz nebenbei auch ihr eigenes Korrespondenzbüro.
Oder Aga, schönste Künstlerin aus Berlin-Mitte. Alleinerziehend seit dem fünften Lebensmonat ihrer Zwillis – und trotzdem (oder gerade deshalb, wie sie sagt) immer gut gelaunt und mit einer Ausstrahlung, die einem den Atem raubt.
Dann ist da Esther, die erst im Dezember Mutter von Zwillingen wurde – und jetzt mal kurz mit ihnen durch Australien tourt. Im Übrigen mit einer Bikinifigur, die sich selbst manch Nie-schwanger-gewesene nur wünschen dürfte.
Nicht zu vergessen Christine, Mama der Zwillingsmädels aus Eurer Kita. Sie zeigt nicht nur ihren eigenen Kids, wo es im Leben langgeht, sondern vermittelt es täglich auch Dutzenden Schülern, die sie als Lehrerin unterrichtet.
Ich könnte diese Liste beliebig verlängern. Aber vielleicht stelle ich lieber die klassische Was-war-zuerst-das-Huhn-oder-das-Ei-Frage, die Ihr sicher auch eines Tages im Philo-Unterricht diskutieren werdet. Lieblingsfreundin Christina nämlich, mit der ich die Tage bei unserem wöchentlichen Telefondate darüber sprach, betrachtete die Sache noch aus ganz anderen Ecken.
„Vielleicht ist es auch so, dass das Ganze von den Kindern ausgeht und Zwillinge bei ihrer Mutter diese besonderen Kräfte mobilisieren können“, sagte sie. „Es haben ja viele Frauen Ressourcen, die sie selbst gar nicht erkennen und an die sie nicht herankommen, weil sie nicht gefordert werden.“ Das sei jetzt ein bisschen Eso-Schiene, ergänzte sie noch – aber es gebe ja auch die Theorie, dass Kinder sich ihre Eltern selbst aussuchen. „Und die sehen vielleicht, wo das Potential steckt und wo eher nicht.“ Andererseits, gab sie dann noch zu Bedenken, habe sie auch schon einige Fälle von Zwillingsmüttern kennengelernt, die am Ende ihrer Kräfte waren.

Ehrlich gesagt: Ich kenne beides. Manchmal bin ich komplett platt. Vorgestern zum Beispiel war so ein Tag. Morgens arbeitete ich, und weil ich zum offiziellen Halbtags-Feierabend noch nicht ganz fertig war mit meinem Kram, holte ich Euch ab, und fuhr nochmal ins Büro – mit Euch. Lieblingssekretärin Susan malte Euch Autos auf Druckerpapier, wirbelte unermüdlich und trotz ihres ebenfalls längst überfälligen Feierabends mit Euch durch den Konferenzraum, rettete mir dadurch den, äh – Popo; und trotzdem war ich (wie Ihr im Übrigen auch) auf der Heimfahrt einfach nur groggy. Ihr schlieft ohne Abendbrot und in Euren Klamotten auf der Couch ein, noch bevor ich selbst meine Schuhe ausgezogen hatte – und ICH folgte Euch lange vor den Tagesthemen ins Schlummerland.

Zum Glück aber sind da auch die anderen Momente, die, in denen ich mich fühle, als könnte ich Bäume ausreißen. So ein Moment war zum Beispiel Samstagabend, als ich in die Abendsonne joggte und mir meine Lauf-App erzählte, dass meine Pace zehn Sekunden unterm üblichen Schnitt liege (den üblichen Schnitt erzähle ich Euch lieber nicht). Oder Freitag: Es hatte den ganzen Nachmittag geregnet. Um kurz nach halb sechs blinzelte die Sonne plötzlich noch einmal durch die dicke Wolkendecke. Kurzerhand zog ich uns drei Regenzeug an, ging mit Euch nochmal raus. Und dann sprangen wir in Pfützen herum, wie Peppa Wutz in ihrer Matschepampe-Folge. Ähnlich versaut sahen wir anschließend aus, aber egal: Himmel, was hatten wir Spaß! Ich fühlte mich so lebendig, dass ich kurz davor war, die Kinder der vorbeispazierenden Großfamilie einzuladen, sich zu uns zu gesellen. Eltern, geht ein Käffchen trinken, ich mach das hier schon! Ob 2 oder 4 oder 6, was soll’s – Sylvia schafft’s doch auch!
Schon gut, ich übertreibe. Und natürlich machen mich temporäre Energie-Schübe wie dieser nicht zur Supermum.
Aber eine Supermum, was ist das überhaupt? Ist nicht eine Supermum dann eine Supermum, wenn sie ihrem KIND oder ihren KINDERN eine Super-Mum ist?! Wenn ihr Nachwuchs sie liebt, wie sie ist, selbst wenn sie sich im vorübergehenden K.O.-Zustand befindet? Wenn sie das Beste gibt, das sie mit ihrer Lebensgeschichte, ihren Lebensumständen und in ihrer aktuellen Lage geben kann, ohne selbst zu kurz zu kommen?
Apropos zu kurz kommen: Diese Zeilen schreibe ich, während links neben mir mein Buchmanuskript mit ungefähr 28461 Anmerkungen der Lektorin auf mich wartet. Natürlich könnte ich an dieser Stelle noch weiter zum Thema Supermum ausholen, aber das lasse ich jetzt bewusst (und zu meinen Gunsten, siehe oben) mal, sonst komme ich heute überhaupt nicht mehr ins Bett. Praktischerweise hat genau das neulich ohnehin die Zeitschrift Eltern in ihrer Ausgabe zum 50-jährigen Jubiläum getan, mit ihrem Cover-Thema „Warum jede Mutter die beste für ihr Kind ist“. Und auch in diesem schönen Blogbeitrag schrieb Autorin und Hebamme Anja mal, wieso sie (ebenso wie alle anderen) die beste Mama der Welt ist. Natürlich gibt es auch einige traurige Ausnahmen, aber trotzdem steckt in beiden Texten ziemlich viel Wahrheit.

Und so ist es am Ende doch so, dass wieder alle ein bisschen Recht haben: Sicher bekommt man Aufgaben aus guten Gründen gestellt. Ganz bestimmt mobilisieren Kinder durch ungeahnte Situationen und Gefühle ungeahnte Kräfte. Natürlich raubt Ihr uns auch manchmal den letzten Nerv. Aber am Ende macht Ihr uns stark, und zwar nicht nur uns Zwillingsmamas. Bei näherer Betrachtung nämlich sind so ziemlich alle Mamas im Bekanntenkreis Powerfrauen (vielleicht mitunter durch das Mama sein zu eben solchen geworden). Etliche Einzelkind-Mamas, vor allem aber auch die, die Kids unterschiedlicher Altersklassen zufriedenstellen müssen, und nicht einfach alles in einem Rutsch erledigen. Eure Tante zum Beispiel, oder Eure Berliner Paten und unzählige weitere.
Die Hauptsache ist und bleibt, dass wir in EUREN Augen Powerladys sind. Dass wir EUCH glücklich machen, Euch lieb haben und Ihr uns zurück lieb habt – ganz egal, was für eine Art Mutter man in den Augen der Anderen ist.
In diesem Sinne: Lasst mich Eure powernde Supermum sein!
Eure Zwillimuddi