Heute beginnt Euer zweiter Lebensabschnitt! Was sich ab jetzt ändern wird

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Tagebuchberg: in diesem Haufen stecken meine niedergeschriebenen Gedanken aus ca. 25 Jahren

Liebe Zwillis,

an einem Sonntag im August, es muss im Jahr 1992 gewesen sein, saß Euer Opa zum Gute-Nacht-sagen neben meinem Bett und erklärte mir feierlich, dass am morgigen Montag ein neuer „Lebensabschnitt“ für mich beginne. Er meinte den Wechsel von der Grundschule auf’s Gymnasium, und ich verliebte mich spontan in dieses mir bis dato unbekannte Wort. Fortan sortierte ich mein Leben selbst gern in Abschnitte und feierte sie regelrecht mit einem kleinen Ritual: mein „erstes Mal“, der Start des Studiums, das Ende einer alten Beziehung oder der Beginn einer neuen, mein erster echter Job, Hochzeit, Schwangerschaft, Eure Geburt: zu jedem dieser neuen „Kapitel“ begann ich traditionell ein neues, jungfräuliches Tagebuch.

Am heutigen Donnerstag beginnt für EUCH ein neuer Lebensabschnitt, der zweite überhaupt in Eurem Leben: Ihr kommt in die Kita!

Exakt 14,5 Monate habe ICH Euch betreut, meist 24 Stunden am Tag. Seit Eurer Geburt war ich nur sehr selten von Euch getrennt, und wenn, dann immer bloß wenige Stunden. An diese Nähe hatte ich mich so sehr gewöhnt, dass wir, wie ich Euch bereits berichtete, den (ursprünglich für August geplanten) Kita-Start verschoben haben und ich mich zwischenzeitlich fragte, ob ich jetzt eine dieser Helikopter-Mamas bin.

Heute weiß ich: Diese Phase, die Angst, Euch zu früh in andere Hände zu geben, war gut und wichtig – und löste in mir eine Gedanken-Lawine aus, die mich zwang, mich näher mit diesem ersten (oder wörtlich genommen zweiten) Abnabelungsprozess auseinanderzusetzen. Dabei gewöhnte ich mich Schritt für Schritt an die Kita-Vorstellung – und glaube inzwischen, dass JETZT ein ziemlich guter Zeitpunkt für die Eingewöhnung ist.

Denn in den zwei aufgeschobenen Monaten ist viel passiert: Ihr habt laufen gelernt, sagt erste Wörter (Mama, Papa, Teddy, Puppe) und könnt Euch – zumindest mittels Zeigetechnik – grob verständigen. Diese Dinge hatte ich irgendwann mal als Kita-Grundvoraussetzung in meinem Kopf gespeichert. Außerdem spielt Ihr zwar zu Hause schön miteinander, seid aber auch mindestens genauso gern mit weiteren Kindern zusammen. Neue Räume sind eh immer toll, und fremdeln ist nach wie vor kein Thema.

Also los. Schluss mit der Mama-Alltime-Flatrate. Wollt Ihr ein paar Details, was sich sonst noch so ändert ab heute? Bitteschön:

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Bio, salzfrei und mit sehr viel Liebe gekocht: Spaghetti à la Zwillimuddi. In der Kita wird Euer Lunch vermutlich etwas anders aussehen

Die Sache mit dem Zucker. Ein Donnerstag im September, erster Eltern-“Abend“ in der Kita – um 16.30 Uhr. Euer Papa: noch arbeiten. Die Babysitterin: verhindert. Also nehme ich Euch mit. Ein Stuhlkreis für die Mamas und Papas, in der Mitte stehen kleine Tische, darauf Butterkekse und Salzstangen. Euer gesamtes erstes Lebensjahr habe ich penibel darauf geachtet, Euch ausschließlich zuckerfreie Snacks anzubieten, und Euer Mittagessen habe ich – wie in all den Baby-Ratgebern einstimmig empfohlen – ohne Salz gekocht. Jetzt, bei der Kita-Premiere, scheint Ihr auf einen Schlag die Jahresration nachzuholen, die ich Euch vorenthalten habe. Elli, Dir guckt noch ein halber Keks aus dem Mund, während Du Dir bereits Nachschub Nr. 2, 3 und 4 sicherst. Du Theo, stolperst mit dem Becher Salzstangen davon, den Mund nicht weniger voll als Deine Schwester. Ich überlege, wie ich die Situation rette, ohne als Voll-Spießerin abgestempelt zu werden, als die Gruppenleiterin das Thema anspricht: „Hat eigentlich jemand etwas gegen Süßigkeiten?“ Stille. „Also gut, denn bei Geburtstagen und in anderen Ausnahmesituationen gibt es schon mal Schokolade oder Gummibärchen.“

Tja. Habe ich ernsthaft gedacht, ich kann Euch davor bewahren?! Im Moment knabbert Ihr zu Hause noch munter auf Hirsekringeln und Dinkelkrackern herum. Aber ich tippe mal, dass meine Öko-Schummelschnuckeleien nicht mehr lange mithalten. Auch das Kita-Mittagessen wird vermutlich stärker gewürzt, garantiert nicht ausschließlich bio sein – und auch ganz sicher nicht im dekorativen Gesichter-Style auf Euren Teller landen. Aber das ist vermutlich gut so. Raus aus dem Babyleben unter der Käseglocke, rein in den „schmutzigen“ Kleinkindalltag. Von mir aus auch mit Ausnahme-Schokolade (wie gut, dass Ihr so gern Zähne putzt).

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Platz ist in der kleinsten Kiste: So einig wie in dieser Situation seid Ihr Euch natürlich nicht immer

Das Streitverhalten. Ein gewöhnlicher Vormittag in diesen Wochen. Theo, Du gehst mit dem roten Auto auf Elli los, mit voller Wucht trifft es ihr Köpfchen. „Nein“, sage ich streng, erkläre Dir, warum Du nicht hauen sollst und nehme Dich, Elli, hoch. Fünf Minuten später: Ihr streitet um die Fernbedienung. „Das ist kein Spielzeug“, sage ich, und lenke Euch mit einem Lied ab, als Ihr synchron zu weinen beginnt. Kurz darauf am Schaukelpferd: Ihr kämpft um den Sitz im Sattel. „Jeder darf mal“, sage ich, helfe Euch nacheinander hoch. Fünf Mal hin und her. Dann tauschen.

SO geht streiten im Moment. Mit Mama oder auch Papa daneben, als Schiri, Schlichter, Schadensbegrenzer. Künftig werdet Ihr viele dieser Szenen unter Euch ausmachen müssen – und auch mit Anderen. Für ausführliche Erklärungen haben die vier Erzieherinnen vermutlich keine Zeit, denn neben Euch sind da ja noch 18 weitere Kinder. Und wenn Tränen fließen, wird höchstwahrscheinlich nicht immer und sofort eine tröstende Schulter parat sein. Aber auch das gehört dazu und wird Euch vermutlich eher stärken als schaden. Und das rote Auto liegt ja zum Glück zu Hause…

Die Kuscheleinheiten. Vergangene Woche, Kita-Schnupperstunde. Wenn die Eingewöhnung so läuft wie diese Generalprobe, ist das Berliner Modell, das großzügig vier Wochen Eingewöhnungsphase verspricht, ein Witz: Theo, Du verschwindest in der Lese-Ecke und blätterst hochkonzentriert in einem Buch. Elli, Du schließt spontane Freundschaft mit der Erzieherin. Du willst gar nicht mehr runter von ihrem Schoß – und sie freut sich so sehr über Deine bedingungslose Zutraulichkeit, dass sie Dir einen dicken Schmatzer auf die Wange drückt, als wir uns kurz darauf verabschieden.

Huch! Irgendwie fand ich diese Situation etwas befremdlich. Mein Blick verirrte sich im Gruppenraum, nicht wissend, wo er hin soll. Küsse: die gab’s bislang doch nur von Eurem Papa und mir. Naja, Oma und Opa dürfen auch, Eure Paten vielleicht noch. Aber eine fremde Frau, bei der zweiten Begegnung? Will ich das? Ist das eine Grenzüberschreitung? Nein, entschloss ich, als ich in Dein grinsendes Gesicht blickte, Elli. Diese Frau mit den Pippi-Langstrumpf-roten Haaren und dem lieben Lächeln wird Euch immerhin künftig rund 100 Stunden im Monat betreuen. Als sie mir bei der Verabschiedung noch erzählte, dass sie sich auch zum Einschlafen neben Euch legt und Ihr Euch bei ihr ankuschelt dürft, war das Wort Grenzüberschreitung bereits wieder vergessen. Aber Schlafen, ähh, das ist ein Thema für sich…

Der Mittagsschlaf. Vorgestern. Es ist 11 Uhr, und wir drei sind noch im Schlafanzug. Ich genieße diesen Lotterlebenstart in den Tag, wohlwissend, dass es einer unserer vorerst letzten gemütlichen Gammel-Vormittage sein wird. Nach Bobbycar-Ralley durchs Wohnzimmer, Wasserball-Turnier in Euren Betten und endlos vielen Strophen von Hampelmann, Schotterwagen & Co. verkrümeln wir uns ins Schlafzimmer, im großen Bett stille ich Euch in den Schlaf.

Im Moment funktioniert der Mittagsschlaf nur auf diese Weise – oder draußen im Buggy. Als ich das beim Kennenlern-Gespräch vorsichtig der Erzieherin erzählte, winkte sie ab: davon hätten sie Dutzende Kandidaten, ich solle mir keine Sorgen machen. Der Kita-Trubel sei so anstrengend, dass Ihr schon schlummern würdet. Von alleine. Wahrscheinlich zwei Stunden lang. Am Stück. Mhhh. Das habt Ihr noch nie (in Versalien: NOCH NIE) getan. Aber ich lasse mich gern überraschen.

***

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Bastelmappen gebastelt: ja-ja, bei sowas hat Eure Mama Spaß (wirklich)…

Hach, es ist vielleicht etwas verrückt, aber ich bin richtig aufgeregt. Stellvertretend für Euch mit, also sozusagen für Drei und inklusive Papa Vier. In den letzten Tagen habe ich fleißig gewerkelt, die Kita-To-do-Liste abgearbeitet: Namensetiketten in Klamotten gebügelt, Bastelmappen mit Fotos beklebt, Sprachlernordner mit Namen bestempelt.

Sie fühlten sich gut an, diese Vorbereitung auf das große Neue, das im Grunde ja auch für MICH ein neuer Lebensabschnitt ist. Ich werde nicht mehr wie bisher die komplette Kontrolle über Euer Leben haben, was im Hinblick auf meine Perfektions-Ticks vermutlich gar nicht so übel ist. Ich werde nicht immer wissen, was Ihr macht, und Ihr werdet es mir nicht einmal erzählen können – aber auch das ist okay. Ihr seid in guten Händen, und Ihr werdet es lieben, da bin ich sicher.

Und ich? Auch MIR wird Eure (ja erst einmal nur stundenweise Abwesenheit) gut tun. Drei Monate werden noch vergehen, bis ich wieder zu arbeiten beginne. Drei Monate, in denen ich die Spülmaschine ausräumen / Wäsche waschen / staubsaugen kann, ohne die jeweilige Tätigkeit 28 Mal zu unterbrechen. Drei Monate, in denen ich auch mal durchatmen, Akkus aufladen, mich sortieren kann. Drei Monate, in denen ich mal wieder ein bisschen mehr ich und nicht nur Mama sein kann. Ich möchte Schlaf nachholen. Sport machen. Zeitungen lesen, Kaffee trinken, bevor er kalt ist. In Ruhe!

Und mich dabei die ganze Zeit darauf freuen, Euch pünktlich um 13 Uhr wieder in die Arme zu schließen.

Das wird gut!

Gespannte Vorfreudigkeitsgrüße von Eurer Zwillidmuddi

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