Happy 1st Birthday: Was ich im ersten Jahr mit Euch gelernt habe

IMG_0434-2

Liebe Zwillis,

heute werdet Ihr ein Jahr alt. Wahnsinn. Seid Ihr wirklich schon 365 Tage (und Nächte!) bei uns?!

Wisst Ihr: wir feiern heute mit Eurer Oma, Euern besten Kumpels Ferdi und Hugo, es gibt zum ersten Mal Kuchen und Bobbycars in Rosa und Blau. Aber ICH mache mir heute auch ein Geschenk: diesen Blog. Ja-ja, es gibt mehr Muddiblogs als Sandkörner in der Buddelkiste. Aber erstens lese ich diese Dinger inzwischen zugegebenermaßen selbst gern. Zweitens bin ich Journalistin, habe in den vergangenen zwölf Monaten der Umstände halber lediglich Einkaufszettel und ab und zu mal einen Tagebucheintrag verfasst: mir FEHLT das Schreiben! Und drittens glaube ich, dass diese Zeilen hier tatsächlich einmal eine schöne Erinnerung sein können.

Also los: ab sofort bekommt Ihr jeden Donnerstag an dieser Stelle einen Brief von mir. Den Start macht ein Resümee Eures ersten Lebensjahres. Seit 33 Jahren bin ich jetzt auf dieser Welt – aber was ich seit Eurer Geburt so gelernt habe, ist schon erstaunlich. Meine zwölf Lektionen der vergangenen zwölf Monate:

Lektion 1: Ihr macht mich fertig!

Freitag, 18. Juli 2014, irgendwann spät abends. Halb Berlin ist auf Jück, aus dem Volkspark Friedrichshain wummert Konzertmusik durch die Klinikmauern. Drei Tage seid Ihr jetzt auf der Welt, Euer Papi ist gerade mit seinen Kumpels beim Babypinkeln – und ich stehe zwischen Euren beiden Bettchen im Krankenhauszimmer und flenne mir die Seele aus dem Leib. Dabei war ich doch gerade noch auf Wolke 700…

Himmelherrgott, neun Monate hatte ich Zeit, mich daran zu gewöhnen, dass in mir zwei Babys heranwachsen. Ich habe Ratgeber gewälzt, Klamotten im Doppelpack gekauft, Euer Zimmer eingerichtet. Fühlte mich perfekt vorbereitet. Aber dass Ihr mir SO den Boden unter den Füßen wegziehen würdet, hat mir keiner verraten. Meine Stimmung schwankt zwischen „Herz-hüpft-vor-Glück“ und „plötzlich-Panik-vor-allem“. Hilfe, seid Ihr schön – atmet Ihr noch? Was für ein Segen, dass Ihr gesund seid – seid Ihr wirklich gesund? Ich will mit Euch nach Hause – nach Hause, oh Gott, und dann? Wie weich Eure Haut ist – atmet Ihr immer noch, alle beide?! Ihr wiegt zusammen so wenig wie viereinhalb Pakete Mehl, und trotzdem haut Ihr mich um. Diese Gefühlsachterbahn ist turbulenter als die wildesten Bauch-Schmetterlinge und der heftigste Liebeskummer zusammen. Wäre dieser Hormoncocktail käuflich, er wäre die teuerste Droge der Welt. Ihr macht mich fertig!

Lektion 2: Sissi saved my life. Und Eures auch!

Ein Tag im August, am Wickeltisch. Ich zücke mein iPhone, fotografiere den braungelben Fladen in der Windel, tippe gedankenverloren den Text „Hurra hurra, Theos Kacke ist da“ und klicke auf „senden“. Habe ich das gerade tatsächlich getan?! Ein „Scheiß-Bild“ verschickt?

Ja. Adressat: Sissi, die weltbeste Hebamme und der in diesen Wochen mindestens viertwichtigste Mensch meines Lebens. Gefühlt ist sie einfach IMMER da, wenn auch manchmal „nur“ virtuell. Sie erklärt mir Eure Welt, dass es nicht schlimm ist, wenn das große Geschäft bei einem von Euch mal zehn Tage (ZEHN Tage!!) ausbleibt und dass Ihr nicht verhungert, obwohl ich 38 Mal am Tag das Gefühl habe, Euch mit meiner Milch nicht satt zu kriegen. Neben all den gängigen Hebammenaufgaben (wie stille/trage/beruhige ich Euch zeitgleich?) schickt sie Euren Papi einkaufen oder mit Euch spazieren, um mir in Ruhe Nacken und/oder Kaiserschnittnarbe zu massieren. Und sagt mir bei jedem Besuch, wie gut ich aussehe, selbst wenn garantiert das Gegenteil der Fall ist. Kurzum: Sissi Rasche saved my life. Und damit irgendwie auch Eures.

Lektion 3: Roter Lippenstift hilft beim Angeben

Ein heißer Septembertag, drei vor zehn. Ich stolpere aus der Haustür, jogge mit Euch im XXL-Kinderwagen über Kopfsteinpflaster, um zumindest einigermaßen pünktlich zur Rückbildungsgymnastik zu kommen. Mein T-Shirt ist bereits schweißnass, als ich die Hebammenpraxis erreiche. Im Hausflur krame ich noch schnell den roten Lippenstift aus der Wickeltasche, trage ihn blind auf, besser als nix. „Du wirkst immer so frisch“, sagt die Frau, die im Kurs neben mir sitzt, ernsthaft. „Wie schaffst Du das nur mit zwei Babys?“

Wenn die wüsste. Frisch?! Mag sein, dass das so wirkt, denn ähnliche Sätze ernte ich auch beim Kanga, Pekip, bei der Babymassage und beim Babyschwimmen. Vielleicht besuche ich genau aus diesem Grund auch so ziemlich jeden Kurs im Kiez, der sich an junge Mamas mit Babys richtet. Um kokettierend antworten zu können: „Ach was, ich kenne es ja nicht anders“, oder „Wer eine Windel wechselt, kann auch zwei wechseln.“ Die Wahrheit aber ist: das einzig frische an mir ist tatsächlich der Lippenstift, vor allem morgens bin ich nach gefühlt drei Minuten Schlaf pro Nacht einfach nur fix und fertig. Genau deshalb bade ich in dieser Form der Anerkennung. Und auch Ihr zwei seid gute Schauspieler: gemeckert wird nur zu Hause, wenn keiner zuhört. Draußen miemt ihr die immer fröhlichen Vorzeigebabys (Ausnahme: Supermarkt). Wie die Mami, so der Nachwuchs…

Lektion 4: Ich habe jetzt vier Arme

Einer der ersten Herbstabende, die Tage werden wieder kürzer, Euer Papi ist noch im Büro. Theo, Du bist hundemüde, ich stille Dich in den Schlaf. Oder versuche es zumindest. Denn Du, Elli, bist hellwach und willst beschäftigt werden. Meine linke Hand hält Theos Köpfchen, die rechte mein Still-Wasserglas, ohne das ich innerhalb von Sekunden zu verdursten drohen würde, also bleiben: meine Füße. „Zehn kleine Zappelmänner“, beginne ich zu singen, während meine Zehen über Dir, Elli, hin und her tanzen.

Schon gut, im Zirkus kann ich mit der Nummer nicht auftreten. Aber was ich inzwischen alles mit meinen Füßen mache, ist zumindest für die Wiederherstellung meiner Beinmuskulatur von Vorteil. Nur wickeln mit den Zehen, das ist noch ausbaufähig.

Lektion 5: Jeder, wirklich JEDER, hat eine Zwillingsgeschichte zu erzählen

Ein Novembermorgen, an der Kasse meines derzeit zweiten Zuhauses Rossmann. Wie immer bin ich in Rekordzeit an den Regalen vorbei, noch schneller zur Kasse, bevor einer von Euch wach wird. Eine ältere Dame blinzelt durch das Regenverdeck zu Euch in den Wagen. „21, 22, 23“, zähle ich innerlich, weil ich weiß, dass sie jetzt gleich wieder kommt. Die Frage, die mir derzeit täglich unübertrieben etwa zehn Mal gestellt wird, und zwar unabhängig vom Bildungsgrad des Fragenden. „SIND DAS ZWILLINGE…?!“

„Nein. Sie wurden nur zufällig am selben Tag geboren, tragen aus Spaß die gleichen Klamotten“, würde ich liebend gerne manchmal antworten, „ansonsten haben sie rein gar nichts miteinander zu tun.“ Keine Sorge, meine Süßen, so gehässig wie es jetzt klingt, ist Eure Mami gar nicht. Mich wundert diese Frage einfach immer wieder. Vielleicht, oder wahrscheinlich, ist sie nur das Intro zu dem, was in der Regel danach folgt: eine Zwillingsgeschichte. JEDER hat eine zu erzählen. Und mindestens jeder zweite teilt sie uns mit. Selbst, wenn Ihr dann doch wach werdet und lautstark erklärt, dass Ihr mal wieder keine Lust auf Einkaufen habt.

Lektion: 6: Plätzchenproduktion: nächstes Mal im September starten

Ein kalter Dezembertag, meine Freundin Lotte und ich wuseln durch ihre Küche. Auf dem Boden: drei robbende Babys. Auf dem Tisch: Rezepte und Zutaten für fünf Plätzchensorten.

Fünf?! Haha. Wir naiven Neu-Mamis! Am Ende schaffen wir, äh, eineinhalb, wenn ich mich recht entsinne. Der Rest-Teig kommt in den Kühlschrank (und zwei Wochen später in die Tonne). Merke: nächstes Mal im September starten, dann passt das mit den fünf Sorten. Vielleicht.

Lektion 7: Reisen mit zwei Babys ist schrecklich – schön!

17. Januar 2015, sanft setzt der Jumbo-Jet auf, und pünktlich zur Landung auf dem Cape Town International Airport öffnet Ihr die Augen. Herzlich Willkommen in Südafrika, flüstern wir Euch zu, als der Mann in der Reihe hinter uns plötzlich große Augen macht. „Wow“, sagt er, „ich habe gar nicht mitbekommen, dass da zwei Babys sind.“ Ha! Euer Papi und ich grinsen wie Honigkuchenpferde. Bestes Kompliment seit langem! 

So fängt er an, unser gemeinsamer Elternzeitmonat am Kap der guten Hoffnung. Und er geht ähnlich weiter: in der ersten Nacht in unserem Cottage mit Atlantik-Weitblick schlummert Ihr wie die Steine, tagsüber seid Ihr gut drauf und offenbar selig, das widerliche Winterwetter gegen satte Sommersonne getauscht zu haben. Wir wandern mit Euch auf dem Tafelberg, planschen im Pool, spazieren an Traumstränden. Was bitte ist am Reisen mit Babys angeblich so unentspannt? Höchstens das hier: früher lasen Euer Papi und ich im Urlaub halbe Bücherläden leer, dieses Mal schaffe ich Exemplar Nr. 1 exakt bis Seite 38. Schrecklich? Nö. Schrecklich schön, diese erste große Reise mit Euch!

Lektion 8: Rhythmus, Rhythmus, Rhythmus.

Eine Nacht im Februar. 23.05 Uhr: Elli wach. Stillen. 23.30 Uhr: Theo wach, stillen. 23.45 Uhr: Elli wieder wach. Schuckeln. 0.50 Uhr: Theo, Du hustest Dich wach. „La-Le-Lu“. 1.40 Uhr: Elli hat sich vom Rücken auf den Bauch gedreht. Weil Du das jetzt von tagsüber kennst, drückst Du Dich hoch, sitzt plötzlich. Und bist hellwach. Stillen. Bringt nix. Schuckeln. Auch nicht. „La-Le-Lu“? Strophe 19, 20, endlich. Du schläfst! Theo nicht mehr. Sein Beinchen klemmt zwischen den Gitterstäben des Bettchens, er schreit, weckt Elli damit – und dann weinen wir alle drei. Es ist 3.30 Uhr. Ich habe noch kein Auge zugetan. Und kann nicht mehr.

Ein Einzelfall? Nö. Die Nächte im Februar sind fast alle so. Ja, das Reisen war toll. Aber die Quittung kommt jetzt. Berlin ist grau, üsselig und 30 Grad kälter als Südafrika. Wir werden alle krank, und ich merke: Rhythmus ist jetzt alles. Ich strukturiere Euren Tag strikt. Mahlzeiten, Schlafen, Abendritual immer zur gleichen Zeit. Immer! Im März schlafe ich erstmals seit Wochen mal wieder drei Stunden am Stück. Himmel, was ein Luxus!

Lektion 9: Hemmschwelle, was war das noch gleich?

Ein Frühlingsmorgen in Prenzlauer Berg. Ich schaukele Euch im Kinderwagen über die Schönhauser Allee, singe lauthals „Twinkle twinkle little star“, um den Lärm der vorbeifahrenden Autos zu übertönen – und merke erst, was ich da tue, als drei Teenie-Girls mich auslachen.

Tja, früher ging Karaoke nur mit minimal zwei Promille. Heute bin ich dauernüchtern, dafür aber umso ungenierter. Ihr habt meine Hemmschwelle auf Null gesenkt – gar nicht übel.

Lektion 10: Vor der oralen Phase macht nichts Halt. GAR nichts!

April, die Tage sind wieder länger und wärmer, Ihr krabbelt wie jeden Abend vorm Schlafengehen nackig durch die Bude. Als Du, Theo, ein mittelgroßes Geschäft neben die Spielekiste im Wohnzimmer setzt, bin ich noch amüsiert, hole die Küchenrolle, wische kurz feucht nach – und drehe Dir, Elli, einen Moment zu lange den Rücken zu. Offensichtlich hast Du es Deinem Bruder gleich getan. Du sitzt fröhlich in einer braunen Masse, und führst gerade die Hand zum Mund, darin eine kleine Wurst, und damit meine ich keine Wiener.

Ahhhrgh! Könnt Ihr Euch bitte bitte möglichst bald von dieser oralen Phase verabschieden? Das würde meine Nerven sehr schonen (auch und vor allem auf den Spielplätzen, die Ihr inzwischen so liebt).

Lektion 11: Wir sind ein Puzzle

Eine Nacht im Juni, und an dieser Stelle muss jetzt ein Satz genügen: zwischen Eurem Papi und mir fliegen die Fetzen.

Elf Monate waren wir ECHT gut. Waren weiter das verliebte Paar, das wir seit neun Jahren sind, belächelten andere, die sich von dem bisschen Kinderkram stressen lassen. Gönnten uns ab Woche 3 (!) jeden Donnerstagabend die Babysitterin, um essen zu gehen – zu zweit. Ließen uns ausreichend Freiräume und oft mal fünf gerade sein. Ende Juni aber ist die fünf ungerade, aber sowas von. Warum, das behalte ich mal für mich. Wichtiger: Drei Tage später ist Gewitter vorüber und mir noch klarer als vorher: Euer Papi ist der Mann, mit dem ich alt und schrumpelig werden will. In zwei Wochen feiern wir unseren dritten Hochzeitstag, durch Euch sind wir an diesem Tag noch enger verbunden, als wir es eh schon waren. Wir haben uns verdoppelt. Und jetzt sind er, ich und Ihr beide wie ein Puzzle mit vier Teilen. Wenn eins fehlt, ist das ganze Bild kaputt. Und deshalb werden wir es ehren und pflegen wie ein altes Gemälde. Versprochen!

Lektion 12: Hallo, altes Leben!

Dienstag vor zwei Wochen. Ein spitzer Schrei im Bad, ausnahmsweise mal nicht aus Euren Mündern, sondern aus meinem. Ihr guckt mich an, als hätte ich sie nicht alle. Verzeiht, ich MUSS jubeln! Denn ich stehe auf der Waage, und da ist sie wieder. Die 55! So viel (oder aus heutiger Sicht: wenig) wog ich zuletzt vor ziemlich genau 18 Monaten. Im Teneriffa-Urlaub, in dem Ihr beiden entstanden seid. Mein Ursprungsgewicht ist wieder da. Yippieh!

Die 55 ist Pipifax im Vergleich zu allen anderen Dingen, die jetzt wieder werden wie „früher“. Großartig: das alte Leben samt Rotwein und Kater (kürzlich zum ersten Mal wieder) und Sport (immerhin die fünf Kilometer schaffe ich wieder) kehrt zurück, und Ihr seid trotzdem da, „on top“ sozusagen. Vielleicht ist das „hier und jetzt“ die bislang tollste Phase überhaupt mit Euch. Wir haben uns eingegroovt, sogar die Nächte werden besser – Elli, seit Sonntag schläfst Du durch, einfach so.

Ich will alles andere als mich hier selbst beweihräuchern. Aber heute, nach diesen 365 Tagen mit Euch, nehme ich es mir heraus, stolz zu sein. Auf mich, uns, Euch. Auf ein tolles erstes Babyjahr.

Jetzt aber: HAPPY BIRTHDAY, meine Kleinen. Ihr macht mich immer noch fertig, jeden Tag. Vor Glück, Sorge, Euphorie, unbändiger Liebe – der stärksten, die ich je empfunden habe. DANKE!

Dicke Geburtstagsküsse von Eurer Zwillimuddi

Werbung

6 Gedanken zu “Happy 1st Birthday: Was ich im ersten Jahr mit Euch gelernt habe

  1. Herrlich, herzzerreißend, halleluja! Wunderschön diese Liebeserklärung an Dein neues Leben. Ich freue mich auf nächste Woche Donnerstag. Aber jetzt erstmal: Herzlichen Glückwunsch hoch 4!

    Gefällt 1 Person

  2. Habe Deinen Blog gerade durch Zufall entdeckt – er hat meine Laune gerettet nachdem mich meine 11 Monate alten Zwillinge gerade an Rand des Wahnsinns getrieben haben – Leon der brüllt wie am Spieß weil ich ihm verboten habe auf der Sitzfläche seines Hochstuhls zu stehen und Luise die sich darüber tot lacht und dabei alles (wirklich alles!) mit Kürbis beschmiert.
    Also ein herzliches Dankeschön dafür :-)

    Gefällt 1 Person

  3. Super klasse geschrieben-wunderschön ☺️. Am besten gefällt mir Lektion 10, da musste ich herzhaft lachen. Nun interessiert mich aber noch, ob die püppie kosten durfte 😂😂😂😂
    Liebe Grüße Anja, ebenfalls aus Berlin und Muddi von Mia und Willi (25.6.14)

    Gefällt 1 Person

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s